Günter Buhles

Werke für Orchester

Südwestdeutsche Sinfonietta Stuttgart, Studio-Orchester Ulm/Philharmonisches Orchester der Stadt Ulm, Ltg. Stefan Ottersbach/Hans Norbert Bihlmaier/James Allen Gähres

Rubrik: CDs
Verlag/Label: UniSono
erschienen in: das Orchester 03/2018 , Seite 70

Da haben wir’s mal wieder: kein hoch gehandelter Name, kein Ämter- und Titelzierrat, kein spekulierender Schreibtischtäter, keine imponierenden Notengebirge, an denen das Ohr scheitert. Statt dessen lässt sich ein Vollblutmusiker aus dem Schwäbischen hören, der als Saxofonist und Flötist in verschiedenen Stillandschaften zuhause ist: ein „Ausübender“, dem Modern Jazz, Bebop und Cool Jazz so nahe liegen wie Neue Musik aus Old Europe. Dem im Übrigen niemand nachsagen kann, er hätte Kontrapunkt und Reihentechniken, Rhythmik und Instrumentation nicht mit Fleiß studiert. Musik aus der Praxis für die Praxis – so ließe sich der Eindruck zuspitzen, den seine hier dokumentierten Orchesterwerke vermitteln. Bei aller Verschiedenheit ist ihnen eines gemeinsam: Frische und Unmittelbarkeit, Puls und Impuls, vegetative Energie und Spiellaune. Seine musikalischen Nahrungsquellen findet er hüben und drüben, in der Gediegenheit des Alten Europa und in der Ungeniertheit des Big Apple.
Voraussetzung seiner Musik sei alles, was ihm an Musik begegne, er­läutert Buhles im Begleittext: insbesondere die deutsche Spätromantik, der französische Impressionismus, die amerikanische Moderne und der zeitgenössische Jazz, den er selbst als Bläser spiele. Neben dem Verarbeiten solcher Einflüsse oder der Improvisation sei auch ein „konst­ruktivistisches Vorgehen“ – näher an Arnold Schönberg als der Darmstäd­ter Avantgarde – für ihn „in manchen Fällen ein begehbarer Weg“.
Buhles scheut sich nicht, „im Wesentlichen“ tonal zu komponieren. Sein Gestaltungstrieb hängt nicht am Tropf großer Leitbilder, weder am Formenkanon der Wiener Klassik noch an der Fragment-Ästhetik der Zweiten Wiener Schule. Seine Tonkunst sucht sich ihr Flussbett von Fall zu Fall selbst. Die Skizzen zur Kammersinfonie Nr. 1 entstanden auf einer New-York-Reise 1996. Jazzig synkopierte Bläserakzente perforieren den Drive des an Strawinsky erinnernden Eingangssatzes. Nach einem zerfurchten Intermezzo umfängt den Hörer eine notturnoartige Idylle voller Blue Notes.
Auch im vierteiligen Konzert für Streicher und Schlagwerk European Standpoints fallen die kontrastierenden Satztypen auf, wobei der Komponist an „vier Musiker sehr gegensätzlicher Herkunft“ dachte. Der Kopfsatz stürzt sich entschlossen ins Klanggeschehen; der zweite markiert das Werden und Vergehen eines zwölftonmelodischen Kanons; der dritte schlägt einen elegischen Grundton an, erinnert von Ferne an den Bolero. In seiner unendlichen Melodie verfängt sich ein Schlagzeugsolo. Der gemessene Finalsatz ist ein feierlich-emphatischer Orchestergesang. Die abschließenden Drei Orchestersätze entstammen seinem Essay für Orchester und dem Konzert für Orchester. Dessen Scherzo zählt zu seinen unorthodoxen Zwölftonspielen.
Über mangelnden Enthusiasmus seiner Interpreten – der im Titelkopf genannten Orchester – kann sich der mehrfach mit Aufträgen bedachte Komponist nicht beklagen. Möge es nicht bei Einmal-Aufführungen bleiben!
Lutz Lesle