Fendel, Martin

Wer hält Musiker gesund?

Podiumsdiskussion beim 9. Symposium der DGfMM in Köln

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 20
Wer ist eigentlich für die Gesundheit von Musikern "zuständig"? Wer ist bereit, welchen Beitrag zu leisten? Wer hat welche Interessen und Erwartungen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Teilnehmer und Auditorium einer Podiumsdiskussion, bei der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Unfallkassen, Musiker und Musiker-Ärzte vertreten waren.

Lebenslange Freundschaft mit dem Körper

Der entscheidende Part bei der Gestaltung der Gesundheit von Musikern kommt natürlich ihnen selbst zu. Sie tragen letztlich die Verantwortung für ihre Gesundheit, die gerade für ihren „körperlichen“ Beruf eine wesentliche Voraussetzung ist. Eigenverantwortung bedeutet aktiven Einsatz von Zeit und Energie, um sich über gesundheitliche Zusammenhänge zu informieren und diese Informationen im Lebens- und Arbeitsalltag umzusetzen. Nina Tichman, Klavierprofessorin an der Kölner Hochschule für Musik, überzeugte daher mit ihrer Äußerung, dass alle Musiker aufgerufen seien, genaue Bewusstheit über physiologisch gesunde Bewegungsabläufe beim Musizieren als ständige Herausforderung zu entwickeln und zu pflegen. Und an Musikpädagogen in der musikalischen Erziehung und Berufsausbildung richtete sie den Wunsch, die Chancen einer möglichst früh einsetzenden und damit besonders erfolgversprechenden Einflussnahme auf das Gesundheitsverhalten verstärkt wahrzunehmen. Auch heute noch würden allzu oft gesundheitliche Aspekte im Instrumental- und Gesangsunterricht vernachlässigt und der Körper zum mechanischen Erfüllungsgehilfen degradiert. Bei Erwerb und Umsetzung berufsbezogener Gesundheitskompetenz sind Musiker auf die Unterstützung durch zuverlässige Partner angewiesen. Gesundheit von Musikern ist verschiedenen Interessengruppen ein Anliegen, aus je unterschiedlichen Beweggründen. Der Blick aus verschiedenen Richtungen auf eine gemeinsame Sache beinhaltet jedoch große Chancen.

Initiativen der Deutschen Orchestervereinigung

Der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) Gerald Mertens unterstrich die Bedeutung einer Intensivierung von Präventionsmaßnahmen und spezifischen Therapieangeboten. Bei ähnlichen Belastungen und Risiken werde im Hochleistungssport ein exzellentes Versorgungs- und Präventionsniveau vorgehalten, für Musiker hingegen kein annähernd vergleichbares Angebot. Ein Arbeitskreis innerhalb der DOV beschäftigt sich mit Gesundheitsfragen mit dem Ziel, in Kooperation mit Musikern, Therapeuten, Fachgesellschaften und Behörden Konzepte zur Gesundheitsförderung im musikalischen Berufsalltag zu entwickeln. Ein Blick ins Ausland zeigt, wie das zum Beispiel gehen könnte. Dazu Mertens: „In Großbritannien besteht seit 2006 die von der Association of British Orchestras (ABO) ins Leben gerufene Initiative ,The Healthy Orchestra‘. Hieran beteiligen sich inzwischen viele britische Berufsorchester. Die Initiative bemüht sich über die gesetz – lichen Mindestvorschriften hinaus um gesunde Musikerarbeitsplätze und hat hierfür zahlreiche Richtlinien und Anregungen entwickelt. Orchester, die den ganzheitlichen Gesundheitsschutz der Musiker besonders gut in ihre Arbeit integrieren, werden hierfür öffentlich ausgezeichnet. An diesem Vorbild könnte man sich auch in Deutschland durchaus orientieren.“

Präventionsauftrag der Unfall- und Krankenkassen

Wolfgang Heuer (Unfallkasse NRW) berichtete über Präventionsaktivitäten der deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, zu denen sie nach dem Siebten Buch des Sozialgesetzbuchs verpflichtet seien. Neben Funktionen der Beratung, Aufsicht und Ermittlung in Berufskrankheitsverfahren werden Forschungsvorhaben unterstützt und Schulungsmaßnahmen für Beschäftigte in Orchestern und Theatern, Sicherheitsakteure und Betriebsärzte angeboten. Bei Umbaumaßnahmen zur Erweiterung, Sanierung oder akustischen Verbesserung von Orchestergräben und Probenräumen oder Neubauvorhaben von Philharmonien und Theatern stehen die Unfallkassen ihren Mitgliedsunternehmen beratend zur Seite. Des Weiteren haben die Unfallkassen in den vergangenen Jahren eine Reihe konkreter Gesundheitsprojekte durchgeführt. Beispiele hierfür sind das Beratungsangebot „Stressmanagement im Orchester“ an fünf niedersächsische Orchester durch den Gemeindeunfallversicherungsverband Hannover, die Einführung eines Arbeitsschutzmanagementsystems am Musiktheater Gelsenkirchen und Feldversuche mit neuartigen Schallschutzwänden und die Erstellung einer Broschüre Ausgleichsübungen für Orchestermusiker in Zusammenarbeit mit dem Theater Münster. Als Anreiz und gezielte Förderung von Präventivmaßnahmen kann für Mitgliedsbetriebe unter bestimmten Voraussetzungen ein Beitragsbonus gewährt werden.

Aufgaben der Arbeitgeber

Den Arbeitgebern kommt aufgrund ihrer Fürsorgepflicht und weiterer gesetzlicher Vorschriften eine besondere Verpflichtung zu, die betrieblichen Gesundheitsvoraussetzungen durch organisatorische und technische Maßnahmen und Präventionsangebote zu optimieren. Dass gezielt in betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzte Investitionen sich auf dem Umweg verbesserter Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Belegschaft auch wirtschaftlich rechnen, ist branchenübergreifend vielfach belegt. Rolf Bolwin, Direktor des Deutschen Bühnenvereins, ließ keinen Zweifel daran, dass auf der Seite der Verantwortlichen in Bühnen und Theatern der gesetzliche Auftrag erfüllt wird. Gerade in künstlerischen Produktionen stoßen Auflagen bezüglich Sicherheit und Gesundheitsschutz aber gelegentlich an Grenzen. Dies verdeutlichte er am Beispiel der seit Februar auch für den Musikbereich verschärften Lärmschutzvorschriften: „Es ist selbstverständlich, dass die Orchester-Arbeitgeber auf der Grundlage ihrer finanziellen und tatsächlichen Möglichkeiten alles tun, um eine gehörschädigende Lärmbelastung der Orchestermusiker zu vermeiden. Die Maßnahmen dürfen jedoch nicht zulasten des künstlerischen Produkts und der künstlerischen Arbeit der Theater und Orchester gehen.“ Bolwin verwies auch auf die Eigenverantwortung, die jeder Musiker für seine Gesundheit trage: „Die Musiker sind aufgefordert, auch in eigener Angelegenheit ihre Tätigkeit zu überprüfen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Ausübung von zusätzlichen Nebentätigkeiten. Aber auch darüber hinaus müssen sich die Musiker die Frage stellen, in welchem Umfang sie selbst zusätzliche Lärmbelastungen vermeiden.“

Konzertierte Aktion

Martin Fendel (Arbeitsmedizin für Musiker, BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH) betonte die Wichtigkeit einer gemeinsamen, koordinierten Strategie, wenn man in der Gesundheitsförderung etwas erreichen wolle. Gesundheitsförderung eigne sich nicht für Konfrontation. An die Musiker richte sich der Appell zu mehr Eigeninitiative, Kreativität und Experimentierfreude. Die Arbeitgeber seien zu einer gezielten Nutzung und Stärkung der Gesundheitsressourcen in ihren Betrieben aufgerufen. Hierbei bedürfe es integrierter Konzepte zur Gesundheitsförderung mit professioneller, ergebnisorientierter Steuerung und Qualitätskontrolle, aber auf Seiten der Arbeitgeber auch mehr Vertrauen in Kooperationswillen und Leistungsbereitschaft der Musiker. Von der Politik sei die Bereitstellung von mehr Mitteln für Präventionsmaßnahmen, Forschung und Gesundheitserziehung in der musikalischen Ausbildung gefordert. Als Arbeitsmediziner plädierte Fendel insbesondere für eine Verbesserung der arbeitsmedizinischen Versorgungsqualität für Musiker. „Wir verbringen ein Großteil unserer besten Lebenszeit am Arbeitsplatz. Der Betriebsarzt hat hier direkten Zugang zu den Menschen, Einblick in ihre Arbeits- und Lebensumstände und damit exzellente Chancen für eine positive Einflussnahme auf ihr Gesundheitsverhalten.“

Hoffnungsvolles Ergebnis

An Bedarf für Gesundheitsförderung, an Visionen und konkreten Ansätzen besteht offenbar kein Mangel. Das wertvollste Ergebnis der offenen Aussprache war aber wohl die Feststellung, dass auf allen Seiten Bereitschaft und Entschlossenheit vorhanden sind, gemeinsam an einer Verbesserung der Gesundheitssituation von Musikern zu arbeiten. Allein dass eine solche Verständigung möglich war und stattgefunden hat, ist ein ermutigendes Signal. Es ist notwendig und zu wünschen, dass die hier begonnene Diskussion sehr bald fortgesetzt wird.