Uhl, Alfred
Wer einsam ist, der hat es gut
Eine lohnende Ausgrabung! Wer einsam ist, der hat es gut! ist nicht nur der Titel eines Gedichts von Wilhelm Busch, sondern auch einer danach benannten, knapp 70-minütigen Kantate des Wiener Komponisten Alfred Uhl nach Gedichten von Busch, Christian Morgenstern und Joachim Ringelnatz. Die Namen der drei beliebten Humoristen und der Untertitel Heitere Kantate für Soli, Chor und Orchester wecken zunächst die Befürchtung, man habe es mit einer netten Harmlosigkeit zu tun. Doch man hätte es ahnen können: Wien ist nicht die Stadt und der Wiener Alfred Uhl (1909-1992) nicht der Mann dafür.
1927 wurde er an der Wiener Musikakademie Schüler u.a. von Franz Schmidt. 1932 ging er als Barpianist und Filmkomponist in der Schweiz. Nach Österreich zurückgekehrt, wurde er 1940 zur deutschen Wehrmacht eingezogen, in Russland schwer verletzt und erhielt nach seiner Genesung 1943 einen Lehrauftrag für Musiktheorie an der Wiener Musikakademie (der späteren Musikhochschule). 1966 wurde er dort Professor für Komposition; Friedrich Cerha, H. K. Gruber und Heinz Kratochwil gehörten hier zu seinen Schülern. Uhl war 1949 Mitbegründer und dann auch erster Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik. 1954 bis 1956 entstand das Oratorium Gilgamesch.
Offenbar als heiteres Gegenstück dazu schrieb Uhl 1960 Wer einsam ist, der hat es gut. Immer wieder klingt aus der Kantate ein fast zeitloser Buffo-Tonfall, der groteske Bilder und komische Situationen geradezu vor Augen zaubert und sich dabei auch zahlreicher Anspielungen und Stilzitate bedient. Letztere wirken am ironischsten in Noch zwei, wo die bieder-idyllische Lied-Romantik auf das Stichwort ungewöhnlich schwül ins ausufernd Wagnerische kippt. Das Eingangslied mündet zur abschließenden Titelzeile in einen Kirchenchoral, dem bei der Reprise am Ende des Zyklus noch ein schalkhaftes Orchesternachspiel folgt. Auf der anderen Seite weist die Tonsprache klar ins 20. Jahrhundert. Unter der heiter-bewegten Oberfläche ist bereits in den beiden Ouvertüren (zu Anfang und nach der Pause) eine ganze Menge Ernst, Dramatik und Nervosität zu spüren. Der Tonsatz ist prägnant und in Melodik, Rhythmik und Farbigkeit der Instrumentation stark am Neoklassizismus orientiert; doch es sind auch Volksliedhaftes, der Wiener Jugendstil, der französische Impressionismus, die Zwölftontechnik und Jazzelemente integriert. Die Schlagerparodie Das Grammophon mündet sogar in eine Melodie-Überlagerung nach dem Vorbild von Charles Ives.
Die Chorpartien sind harmonisch reizvoll und klar in der Deklamation, die Solopartien charakteristisch eingesetzt, die Interaktion zwischen Chor und Soli wirkungsvoll. Ähnlich wie in Orffs Carmina Burana entsteht eine Art musikalisches Welttheater, und es ist gerade die Musik, die dem Wort Farbe, Tiefe, Atmosphäre und Gegenwärtigkeit verleiht. Der Erfolg bei der Wiener Uraufführung 1961 und in den Jahren danach dürfte kein Zufall gewesen sein. Die ausgezeichnete, ebenso schwungvolle wie hintergründige Realisation unter Anton Marik wird Werk und Komponist hoffentlich neue Beachtung verschaffen.
Andreas Hauff