Wagner-Trenkwitz, Christoph
“Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts!”
Versuche über Verdi
Giuseppe Verdis Ausspruch Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts! als Buchtitel zu wählen, ist eine nicht ganz ungefährliche Verlagsentscheidung. Aber Christoph Wagner-Trenkwitz findet immer wieder Gelegenheit, diese Aussage in den rechten kausalen Kontext zu rücken. Wagner-Trenkwitz Entschluss, über Verdi zu schreiben (und nicht über Richard Wagner, den anderen Jubilar des Jahres 2013), war wiederum eine persönliche Sympathieentscheidung. Überdies möchte sich nicht unbedingt jeder Publizist anders als etwa Holger Noltze mit Liebestod gleich beiden Opern-Gallionsfiguren des 19. Jahrhunderts geballt widmen. Wagner-Trenkwitz ist Chefdramaturg der Wiener Volksoper. Zuvor arbeitete er in gleicher Funktion an der Staatsoper und setzte dort auch die vom legendären Marcel Prawy institutionalisierten Matineen fort. Das merkt man der Publikation an, die in ihrer Mischung aus profunder Werkkenntnis und eingängiger Rhetorik gleichermaßen den Connaisseur wie den Newcomer ansprechen dürfte. Das Buch will keine Biografie sein, auch kein penibler Opernführer, obwohl Werkbetrachtungen dominieren. Doch es fehlen beispielsweise Traviata und Don Carlo. Dafür werden Ernani und Stiffelio berücksichtigt, wobei diese beiden Werke mit guten Begründungen qualitativ höher eingestuft werden als üblicherweise.
Der Autor lenkt das innere Ohr des Lesers immer wieder auf innovative Kompositionsprinzipien Verdis, welche den Belcanto nicht negieren, aber doch kreativ überwinden und dabei die Grenze zum Verismo durchaus streifen. Das Wort-Ton-Verhältnis wird besonders intensiv beleuchtet, da Verdi ja nicht vordergründig schönes, sondern wahrhaftiges Singen anstrebte. Pars pro toto und besonders ausführlich wird in diesem Zusammenhang eine große Szene aus Rigoletto analysiert: Begegnung mit Sparafucile, gefolgt vom Monolog (nicht Arie!) des Titelhelden sowie dem Duett Vater/Tochter. Vieles entdeckt der Autor dem Leser fast neu. Neu sind bei vielen Werken auch Details zur Stoffgeschichte, wobei sich die Akribie bei Stiffelio und Otello schon mal etwas verselbstständigt.
Dass Verdi auch auf die Textfassungen seiner Opern vehement Einfluss nahm (obwohl er sich wahrlich nicht als Literaten sah) und sogar mit szenischen Forderungen unnachgiebig auf den Plan trat, wird in separaten Kapiteln abgehandelt, in denen sich die fleißig zusammengetragenen Zitate zu regelrechten Porträts verdichten. Das gilt auch für die Schilderung von Verdis politischem Engagement. Mit Christoph Wagner-Trenkwitz klugem Buch widerfährt Verdi die Ehre, welche ihm gebührt, aber (ungeachtet seiner Popularität) mitunter noch vorenthalten wird.
Christoph Zimmermann