Geck, Martin
Wenn der Buckelwal in die Oper geht
33 Variationen über die Wunder klassischer Musik
Über Musik spricht man nicht; Musik macht man. Diesen Satz soll Brahms gesagt haben, und er gilt eingefleischten Praktikern noch immer als Maxime. Aber nicht nur ihnen sei dies Buch dringend ans Herz gelegt, sondern auch den Theoretikern. Sie werden ein hochintellektuelles, durchaus nicht leichtgewichtiges Vergnügen haben, auch wenn der Buchtitel eher auf feuilletonistische Lockerheit schließen lässt. Es gibt ordentlich was zum Nachdenken in diesen jeweils etwa fünf Seiten langen Kapiteln Musikphilosophie, deren Zahl 33 zweifellos Beethovens 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli zum Paten hat und die neben ihren Inhalten durchaus auch ihren Klang, ihren Tonfall wechseln.
Und wie kommt nun der Buckelwal in die Oper und von da auf den Buchtitel? Er muss, wie Geck im geschliffenen Parlando philosophiert, seine natur-erhabenen Gesänge nicht zum Operngesang verfeinern, denn wir sind diese in die Oper verirrten Buckelwale, die selbst unter der Dusche oder im Fußballstadion singen. Zusätzlich zählt uns der Autor zu den Delfinen, denen man ein eigenes Kunstverständnis nachsagt. So träfen in uns Natur- und Kunsterhabenheit zusammen, womit wir zu den idealen Adressaten von Gecks Leidenschaft des Lehrens, Bewegens, Erfreuens würden. Der will sein Buch als kleinen Cicerone verstanden wissen, nicht im Sinne üblicher Konzertführer als Höranweisung, sondern für das Gespräch danach.
Auch wenn in einzelnen Kapiteln aufeinander Bezug genommen wird, kann man gut auch stöbern. Die dritte Variation lehrt uns z.B., dass das Klopfmotiv am Beginn von Beethovens Fünfter weitaus tiefere Dimensionen besitzt als die vordergründige Geste des Anklopfens, auch nicht nur tönend bewegte Form ist. Es geht aber auch philosophisch unbeschwerter zu, jedoch nie weniger geistreich wenn Geck etwa vorschlägt, aus Chopins vergrübelter f-Moll-Etüde o.op. die ganze Verzweiflung über die Einzelhaft am Klavier herauszuhören. Manche Formulierung möchte man immer wieder lesen, etwa die von der revolutionären Kraft der Harmonik: Diese bewegt sich von der Tonika [
] zur Dominante [
] und wieder zurück zur Tonika und symbolisiert damit ein kleines Stück Welterschließung: Von der sicheren Basis des Grundakkordes aus wagt man den Schritt ins offene, um dann wieder ,nach Hause zurückzukehren. Trotz der Fachterminologie muss sich der Nicht-Fachmann nicht überfordert fühlen: Aller Sinn erschließt sich auch ohne Kenntnis des Quintenzirkels. Von einem Satz wie: Ganz am Ende gibt die Musik wie durch einen Spalt den Blick auf eine versunkene Landschaft frei, ist man angerührt und möchte sich sogleich Schumanns “Aus der Heimat hinter den Blitzen rot” aus op. 39 anhören, um den phrygischen Choralschluss ebenfalls zu hören.
Das Buch liest sich wie eine musikästhetische und -philosophische Wanderung entlang den Wundern der Musik, in mozartischer Variationsfreude, Leichtheit und Nachdenklichkeit, die sich auch in den vignettenartigen Zeichnungen wiederfindet, die manches Kapitel zieren. Über ihre Herkunft schweigt das Buch, man schreibt sie aber gerne dem Autor zu, was ihn umso mehr als letzten Generalisten seiner Zunft (Der Spiegel) auszeichnet.
Günter Matysiak


