Wagner, Nike (Hg.)

Weimar 2004-2013 “pèlerinages”

Kunstfest Weimar. Musik, Tanz, Bild, Wort

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Köln 2013
erschienen in: das Orchester 01/2014 , Seite 69

Was ist ein Jahrzehnt in der Kulturgeschichte? Nicht viel, bezogen auf Traditionslinien wie jene, mit denen sich Nike Wagner in Beziehung setzte, als sie 2004 Intendantin des Weimarer Kunstfestes wurde; wenig im Verhältnis zu alldem, was in der „Klassikerstadt“ per se vorhanden war und worauf sich die Managerin inhaltlich beziehen musste. Ein kaum nennenswertes Zeitfenster auch, verglichen mit jener Festspieltradition, mit der man die Wagner-Urenkelin unvermeidlich auch in Verbindung bringen wollte. Immerhin war damals das Erbe Bayreuths noch im Gespräch.
Zehn Jahre später ist das kein Thema mehr; kein eigentliches. Denn auch die Jubiläumsfestspiele 2013 sind vorbei. Das Kunstfest Weimar hingegen ist eine feste Institution, entscheidend geprägt durch die Handschrift Nike Wagners. Mit ihrem Abschied vom Weimarer Kunstfest geht in diesem Jahr eine Ära zu Ende. Um das zu dokumentieren, hat die Philosophin und Kulturtheoretikerin selbst ein Buch herausgegeben über ihre Weimarer Jahre, einen Dokumentationsband, der Programme beinhaltet, Aufsätze und bemerkenswertes Bildmaterial – vom Inszenierungsfoto bis zum wirklich vielsagenden Schnappschuss. Auch sind hier jene Texte zusammengefasst, mit denen die Intendantin selbst im Rahmen diverser Festakte und Festivalangebote entscheidende Impulse setzte – intellektuelle Glanzleistungen, wie sie ansonsten in Deutschland wenig Raum haben.
Vor allem aber wird in diesem Buch von einer permanenten Suche nach einem Verhältnis zur Tradition und zur Gegenwart, von der Verbindung zwischen den Künsten und nicht zuletzt vom permanenten und anwachsenden Kampf der Kunst um Brot erzählt. Denn letztlich ist jenes Jahrzehnt der Intendanz von Nike Wagner beim Kunstfest Weimar auch eine Ära, in der die öffentliche Kunstförderung, wie sie in Deutschland seit Jahren und Jahrzehnten tradiert ist, in Frage stand wie niemals zuvor. Davon ist in Wagners Buch kaum die Rede. Dennoch spiegelt sich das indirekt in dem Band. Ein Jahrzehnt Kunstfest-Entwicklung, das zeigt der Rückblick, kann ein Jahrzehnt Kulturgeschichte spiegeln, geprägt vom massiven Wandel im Umfeld – von der rapiden Entwicklung der medialen und technischen Möglichkeiten, von Jubiläen und von sozialen Widersprüchen.
Genau diese Entwicklung ist es, die das ungewöhnliche Buch spiegelt: ein Dokument für die Nachwelt, eine fantastische Basis für kulturhistorische Analysen. Das Titelbild – längst Symbol für dieses Kunstfest-Jahrzehnt – spricht da Bände: Nike Wagner im Dialog mit einer Liszt-Büste. Die verwandtschaftliche Ähnlichkeit ist unbestreitbar; genau wie die Tatsache, dass sich hier jemand sicherheitshalber sein Denkmal selbst zu setzen versucht.
Tatjana Böhme-Mehner