Stephan Weidauer
Wegen dem schönen Ton halt
Memoiren eines mittelmäßigen Fagottisten
Hätte der nach eigenem Bekunden „mittelmäßige“ Fagottist Stephan Weidauer für seine eher impulsiven Lebenserinnerungen eine andere als die mikroskopisch kleine Schriftgröße gewählt, läge das nun vorliegende Opus Magnum des ehemaligen Solofagottisten des Saarländischen Staatsorchesters in vier Bänden vor. Denn Weidauer liebt die Vollständigkeit. Alle Personen werden erwähnt, die im Laufe seiner Karriere eine Rolle gespielt haben, sei es Tante Roni (seine erste Klavierlehrerin) oder Frau Leinenbach, die Vermieterin seiner zweiten Wohnung in Saarbrücken. Akribisch beschreibt er zudem alle Konzerte, bei denen er in seinem Leben zwischen Ansbach, Dudweiler und anderen dreiundsiebzig Spielstätten musiziert hat.
Weidauer geht nur zum Teil chronologisch vor, unterbricht den Zeitstrang oft durch teils sehr bösartige und weit unter der Gürtellinie liegende Beschreibungen von Kolleg:innen oder von verschiedenen Kulturbetrieben. Schon zu Beginn wird klar: Hier möchte jemand richtig auf die Pauke hauen. Nach seinem Studium in Stuttgart bei seinem Professor, der „ungeheuer viel und maßlos aß und eine entsprechende Figur hatte“, dessen Fingertechnik „nicht besonders ausgeprägt“ war und der sich durch einen „goldbraun glänzenden“ Fagottklang auszeichnete – eben wegen eines so schönen Tons kam die Berufswahl Weidauers zustande –, erhielt er sein erstes Engagement am Theater Ulm. Bereits nach wenigen Diensten dort fand er das Orchester „kümmerlich und dürftig“ und gab an, dass er von der Jungen Süddeutschen Philharmonie, einem Jugendorchester, ein „klar höheres Niveau“ gewöhnt war. Nach zwölf erfolglosen Probespielen gewann er dann seine Lebensanstellung am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken und wirkte dort als durchaus angesehener Solofagottist, bis er 2012 „keine Lust mehr auf den Job“ hatte.
Eine Chronologie seiner gesamten Dienstzeit, eine Story-Sammlung und die namentliche und durchnummerierte Aufzählung seiner Schüler:innen – Weidauer war auch jahrelang Lehrbeauftragter an der örtlichen Musikhochschule – finden sich am Schluss. Dort erfahren wir z. B., dass Schüler Nr. 49 ein älterer Herr war, den er privat in der Gaußstraße unterrichtet hatte.
Was Weidauer darbietet, ist eine, wenn auch mit vielen kauzigen Anekdoten gewürzte, Bilanz eines normalen Musikerlebens. Vor der Veröffentlichung seiner Memoiren hätte der eigentlich als Autor von diversen Artikeln schon erfahrene Weidauer ein Lektorat in Anspruch nehmen sollen. In dieser Form ist die Lektüre der mittelmäßigen Memoiren des Fagottisten Stephan Weidauer lediglich für seine Verwandtschaft empfehlenswert. Oder für Tante Rosi und Frau Leinenbach halt. Jedoch nicht für Musikschaffende, denn dieser Beruf ist wirklich wunderschön.
Holger Simon