Kröll, Georg

Wechselbilder

Episoden für Orchester, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Gravis, Berlin 2014
erschienen in: das Orchester 10/2014 , Seite 67

Der österreichische Komponist Georg Kröll, geboren 1934, feiert dieses Jahr seinen 80. Geburtstag und ist damit historisch durchaus auf Tuchfühlung mit der Boulez-, Henze-, Killmayer-, Cerha-Generation, deren Geburtsdatum in die Mitte der 1920er Jahre fällt.
Das 30-minütige Orchesterstück Wechselbilder entstand 2008 bis 2010 und trägt den Untertitel „Episoden“ völlig zurecht. Viele relativ kurze, musikalisch kontrastierende Episoden, „Bilder“, wechseln sich ab, für den Hörer möglicherweise ein Rezeptionsproblem, gibt es doch keine erkennbaren formalen Verklammerungen, Wiederholungen oder Reminiszenzen zwischen den Abschnitten. Im Gegenteil: Kröll legt die Kontraste sehr eindringlich an, es gibt häufige Tempowechsel, jedem Abschnitt ist eine eigene  Klangfarbenzusammensetzung eigen, die orchestrale Behandlung reicht von solistischen, teilweise auch kadenzartig virtuosen dekorativen Einsätzen vor allem der Holzbläser bis zu blockhaft perkussiven und damit rhythmisch sehr dynamischen, manchmal auch repetitiven Tuttipassagen. Somit könnte man das Werk durchaus auch in die Reihe der „Konzert(e) für Orchester“ aufnehmen, ob von Bartók oder Lutoslawski.
Kröll studierte u.a. bei Frank Martin und Bernd Alois Zimmermann, und an diesen Vorbildern orientiert sich seine musikalische Sprache, die somit eher in die 1950er bzw. 1960er Jahre zu passen scheint. Klassizistisch anmutende, klanglich spröde, atonal strenge komplementär-kontrapunktische Passagen werden durch auch metrisch freie oder aber komplex notierte melodisch figurative, mit Klangflächen gestützte Abschnitte abgelöst, deren Tonhöhenverlauf durchaus an serielle Muster erinnert. Der Bezug zu Zimmermann wird spätestens durch die zitathafte Verwendung verschiedener Elemente aus Werken Johann Sebastian Bachs an zentraler Stelle kurz nach der zeitlichen Mitte des Stücks deutlich. Neben dem Präludium in a-Moll aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers wird auch ein
Sequenzmuster aus dem Duett in e-Moll aus dem dritten Teil von dessen Clavierübung eingesetzt. Beide Werke sind vor allem durch ihre kühne, fast atonale Harmonik und Chromatik berühmt geworden. Anachronistisch mutet dabei der Einsatz der zwei Klaviere an. Auch das lässt an die 1950er Jahre denken, als die „historisch informierte“ Aufführungspraxis noch weitgehend unbekannt war. Heute hat man Bach’sche Klavierwerke eher mit Cembalo eingespielt im Ohr. Das Argument, derartige im Orchester eher selten verwendete Instrumente würden hier nicht eingesetzt, lässt sich leicht entkräften; so werden neben Altsaxofon auch Bassflöte, Kontrabassklarinette und die ebenfalls etwas aus der Zeit geratene Xylorimba (auch hier muss man an Zimmermann denken) an prominenter Stelle verwendet.
Wechselbilder ist ein langes, für Spieler wie Dirigent ziemlich anspruchsvolles Werk, das der Generation des Komponisten entsprechend an die Tradition der Orchesterwerke der Mitte des 20. Jahrhunderts anknüpft, dabei aber einen handwerklich professionellen und sehr vielseitigen Umgang mit dem Orchesterapparat offenbart. Bleibt zu wünschen, dass das Werk auch klanglich bald realisiert werden möge. Ein würdiger Anlass dafür wäre ja das Jubiläumsjahr des Komponisten.
Kay Westermann

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