Beyer, Barbara (Hg.)

Warum Oper?

Gespräche mit Opernregisseuren

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Alexander, Berlin 2005
erschienen in: das Orchester 07-08/2006 , Seite 83

Viele moderne Operninszenierungen rufen beim Publikum heftige emotionale Reaktionen hervor. Das Publikum ist aufgeregt, empört, ratlos oder enttäuscht, wenn etwa Calixto Bieito in Berlin Mozarts Entführung in ein Bordell verlegt oder Hans Neuenfels in seiner Salzburger Fledermaus-Inszenierung die feine Gesellschaft als heruntergekommene Kokser präsentiert. Von kaum einer anderen Kunstform kann man das behaupten. Das Publikum möchte sich seine Erwartungen an die konventionelle Erzählweise „seines“ Mozarts durch das Regietheater nicht verderben lassen. Regisseure wollen eine Oper hingegen fast immer anders, aktuell und neu erzählen.
Die Krise der Oper ist nicht neu und begleitet die Gattung während ihrer vierhundertjährigen Geschichte fast durchgehend: alte Stoffe, Virtuosenkult auf der einen, ungenügende Sänger auf der anderen Seite, ignorante Regisseure, eitle Dirigenten, hybride Interpretationen, die Herrschaft stützende Funktion der Repräsentation – die Liste ließe sich mühelos verlängern. Dennoch scheint das Interesse an der Oper ungebrochen.
Barbara Beyer hat im vorliegenden Band fünfzehn Opernregisseure, die zur Hälfte der jüngeren Generation angehören, zu ihrer aktuellen Regiearbeit und den zugrunde liegenden ästhetischen Vorstellungen befragt. Hans Neuenfels, Peter Mussbach, Peter Konwitschny, aber auch Martin Kus?ej und Calixto Bieito geben aus ihrer Sicht über die Bedeutung der Oper für unsere Gegenwart Auskunft.
Undogmatisch in der Gesprächsführung und mit dokumentarischer Ehrlichkeit porträtiert die Herausgeberin ihre Gesprächspartner sehr genau und spricht ohne journalistische Aufgeregtheiten die wichtigen Themen an. In fast allen Gesprächen wird der Wunsch der Regisseure spürbar, vom unantastbaren Werkcharakter wegzukommen und in den Ablauf klassischer Werke so einzugreifen, wie es im Sprechtheater gang und gäbe ist. Das führt unmittelbar zum Stellenwert des Musikalischen. Für Calixto Bieito gehört das Inszenieren gegen die Musik zur Interpretation: „Du kannst mit der Musik gut spielen […] Nicht immer folge ich dabei den Klischees, die die Musik vorgibt. […] Ich gebrauche die Musik, ich manipuliere sie […].“ Hier scheint eine Entwicklung auf, die aus der Krise des Regietheaters herausführen könnte. Einen anderen Weg schlägt Martin Kusej ein: In Abwendung von „Sängern in trashigem Outfit, Campingsesseln auf der Bühne und geschmacklosen Blow-Jobs“ möchte er sich auf „Momente und Mechanismen konzentrieren, in denen die Sänger Gefühle erzeugen“. Peter Mussbach sieht schließlich den Körper des Hörers als „Landschaft der Gefühle“. Der emotionale Wahrnehmungsmodus funktioniert durch Provokation des Körpers durch Klangphänomene.
Wer sich ein umfassendes Bild über den aktuellen Stand der Opernregiediskussion verschaffen möchte, ist mit dieser Zusammenstellung aus erster Hand gut bedient. Zahlreiche Abbildungen von besprochenen Inszenierungen, ein Register der Komponisten und Werke ergänzen den handlichen Band.
Karim Hassan

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