Risi, Clemens / Robert Sollich / Anna Papenburg (Hg.)
Wann geht der nächste Schwan?
Aspekte einer Kulturgeschichte des Wunders. Ein Symposion in Bayreuth
Wann geht der nächste Schwan? Diese Frage wird dem Tenor Leo Slezak zugeschrieben, der sie an das Publikum richtete, als ihm in einer Lohengrin-Vorstellung der Schwan durch schlechtes Timing eines Bühnenarbeiters quasi vor der Nase davonfuhr. Der anekdotische Titel des Buches täuscht allerdings, und man sollte sich eher am Untertitel orientieren, handelt es sich hier doch um eine historisch-systematische Einordnung des Wunders in Auswahl: 16 Autoren verschiedenster fachlicher Provenienz beschreiben in Einzelaufsätzen Aspekte des Wunders aus Sicht ihrer jeweiligen Disziplin. Grundlage für diese Sammlung war ein Symposium der Bayreuther Festspiele 2010, das sich vor dem Hintergrund der Neuinszenierung des Lohengrin von Hans Neuenfels mit dem Wunder beschäftigte.
Der erste Abschnitt, Wunder in Religion und Politik, beginnt mit einer religionswissenschaftlichen Begriffsbestimmung, einem Aufsatz über Wagners Musikdramen aus Sicht des Protestantismus und einer Einordnung des Begriffs in die Welt der Politik. Ein Text im Abschnitt Wunder von dieser Welt beschäftigt sich mit Maschinen, wie sie im 17. Jahrhundert Wunder auf der Opernbühne simulierten. Weiter geht es um den Kraken bei Jules Verne sowie eine Anleitung zur Wundersuche und diverse zeitgenössische Strategien dafür. Musiktheaterwunder betrachtet die Bezüge zwischen der Theatralität des Wunders bei mittelalterlichen Ioculatores und bei Wagner; in einem anderen Text die Bezüge zwischen historischer und romantischer Oper und ihre Haltung zum Wunder. Ein dritter Aufsatz beschreibt Wagners divergente Haltung zu Bühnenwundern; ein vierter die eigenen Naturgesetze eines Kunstwerks.
Auf die Neuenfelssche Inszenierung bezieht sich der Abschnitt Lohengrin-Wunder 2010, in dem ein Produktionsdramaturg seinen Blick auf das Wunder bei Wagner beschreibt. Ein weiterer Autor geht in direktem Bezug auf konkrete Szenen der Inszenierung auf dieselbe Thematik ein, und ein dritter beschreibt, inwiefern diese Inszenierung die ganze Geschichte als Laborsituation darstellt. Wunder und Populärkultur erklärt Aspekte, die ein Wunder historisch betrachtet zum Wunder machen, und befasst sich mit den Parallelen zwischen Heiligen und Sportlern und den von beiden Spezies vollbrachten Wundern.
Damit bietet dieses Buch dem in wissenschaftlicher Weise an Wundern interessierten Leser durchaus spannende Anregungen, krankt jedoch teilweise ein wenig an dem (teils recht verzweifelten) Bemühen der meisten Autoren, einen Bezug zum Lohengrin bzw. einer konkreten Inszenierung herzustellen, sodass sich das Niveau der Beiträge durchaus unterschiedlich gestaltet. Das lässt viele Passagen für den nicht-bayreuth-pilgernden, aber dennoch an Wagner und/oder Wundern interessierten Rezipienten redundant erscheinen. Da der Band aber ja mit Hilfe der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V. finanziert und auf ein Bayreuther Symposion bezogen ist, dürfte dieses Manko von vorneherein unvermeidlich gewesen sein.
So ist dieses Buch sicher ein erkenntnisförderndes für Bayreuth-Freunde, aber nicht wirklich eines für Erkenntnissuchende. Wen wunderts?
Andrea Braun