Schultz, Wolfgang Andreas

Wandlungen eines gefallenen Engels

für Klarinette solo in B oder A

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Anton J. Benjamin, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 01/2005 , Seite 83

Wandlungen eines gefallenen Engels für Klarinette solo von Wolfgang Andreas Schultz ist aus der Sabine Meyer gewidmeten Tanzdichtung Lilith für Klarinette und Orchester abgeleitet. Nach der jüdisch-babylonischen Legende war Lilith die erste Frau, die vor Eva erschaffen wurde. Als weibliches Gegenstück zu Luzifer lehnt sie sich gegen die göttliche Ordnung auf und wird bestraft. Sie wird in die Schlange im Paradies verwandelt. Lilith erscheint auch in Gestalt einer verführerischen, schönen Frau sowie als nächtlicher, kinderfressender Dämon. In einer Metamorphose gelingt es ihr jedoch, ein Schutzengel für Mütter und Kinder zu werden.
Schultz gliedert seine Komposition in fünf Abschnitte. Ein Bogen zieht sich über das ganze Stück, welcher von formaler Geschlossenheit zeugt. Zu Beginn wird das Lilith-Motiv e-fis-h-gis-dis vorgestellt, das aus einem indischen Raga entwickelt wurde. Immer wieder wird auf diese Keimzelle zurückgegriffen. Mannigfaltige Wiederholungen spielen mit dem melodischen und rhythmischen Motiv und verkörpern damit tanz- und schlangenartige Bewegungen. Aus dem Motiv erwachsen kleine Kadenzen. Der Verwandlungshöhepunkt wird durch einen kurzen, durchdringenden Aufschrei der Klarinette markiert. Der ursprüngliche Charakter bleibt auch nach der Klimax erhalten. Den fünften Teil bildet die Coda: Beruhigung tritt ein, die Verwandlung oder Rück-Verwandlung in einen Engel ist gelungen. Der Komponist resümiert: „Im Grunde denke ich immer bildhaft. Meine Stücke erzählen immer etwas. Damit stehe ich quer zu dem Haupstrang der Musik nach 1945, der auf eine fortschreitende Abstraktion hinausläuft.“
Die Komposition O, star! entstand im Dezember 2003 und ist dem Klarinettisten Wolfgang Meyer gewidmet. Sie stammt aus der Feder des jungen Schweizer Komponisten und Dirigenten David Philip Hefti. Das Stück für Klarinette solo ist dreiteilig angelegt. Hefti verbindet Passagen seines Konzerts Sator für Klarinette und Orchester mit neu komponierten Motiven, und so ist auch der Name des Solo-Stücks ein Anagramm des Konzert-Titels. Die Tonschöpfung beginnt mit einem virtuosen Vivace in der höchsten Lage der Klarinette. Der ruhige, zweite Teil ist lyrisch, der dritte Teil kommt einer Improvisation gleich. Spaltklänge, Klangfarbentriller sowie Klangfarbenwechsel sind in diesem Abschnitt vorherrschend. Der Abschluss ist ruhig und bringt die Entspannungsphase für die zuvor aufgestaute Energie. Die einzelnen Abschnitte sind motivisch geschlossen. Die Komposition trägt den Untertitel „Mosaik“, sichtbar bzw. hörbar fügt sich jedes Steinchen in ein an Stimmungen und Farben reiches Mosaik ein. Hefti, selbst aktiver Klarinettist im Ensemble Clarino, gibt dem Solisten die Möglichkeit, die klangliche Bandbreite des Rohrblattinstruments voll auszukosten.
Juliane Bally