Lütteken, Laurenz (Hg.)

Wagner Handbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2012
erschienen in: das Orchester 02/2013 , Seite 58

Statistisch sei es nicht belegt, heißt es im Vorwort, dass über Richard Wagner, wie oft behauptet wird, mehr geschrieben worden sei als über jede andere Figur der Geistesgeschichte, sei es vergötternd oder verteufelnd, die Musikgemeinde spaltend in „Wagnerianer“ und „Anti-Wagnerianer“. Eben gerade wegen der erdrückenden Fülle an Literatur ist der Bedarf groß, sich komprimiert und zuverlässig nach neuestem Wissensstand zu informieren. In seinem einleitenden Essay geht Herausgeber Laurenz Lütteken auf die grundlegende Problematik dieses Lebens und seiner Erforschung ein. Vieles wird gestreift, das später ausführlich behandelt wird. Dabei ist ihm eine Gliederung gelungen, die das ganze Spektrum dieser schillernden Figur umfasst.
Über 50 Autoren aus den verschiedensten Wissensgebieten, nicht nur Musikwissenschaftler, sondern auch ein Architekt oder ein Theologe, haben mit Erfolg versucht, das Wichtigste herauszufiltern, wobei manche Redundanzen unvermeidlich sind. Wer es noch genauer wissen will, bedient sich der angefügten Literaturlisten. Dabei steht die Musik nicht im Vordergrund. Natürlich werden die 13 Bühnenwerke ausführlich behandelt mit Inhaltsangabe, Entstehungsgeschichte und Kommentaren.
Und auch Orchester- und Klavierkompositionen, Lieder und Fragmente oder verschollene Werke werden der Vollständigkeit halber erwähnt. Wagners Schriften wird breiter Raum eingeräumt – allein ihre Aufzählung füllt achteinhalb Seiten –, wobei sich der Blickwinkel im Laufe der Zeit oft verändert hat. Wagners Antisemitismus steht heute wieder mehr im Vordergrund – noch immer darf die Musik des Judenhassers, im Nationalsozialismus instrumentalisiert, in Israel nicht aufgeführt werden. Ein sachlicher und emotionsfreier Artikel geht darauf ein, wie überhaupt der generelle Ton des Handbuchs wohltuend unpolemisch ist.
Vieles wird der Wagner-Kenner wissen, anderes wird ihn vielleicht überraschen. Wer kennt schon seine frühen Opernbearbeitungen und Uminstrumentierungen, den Klavierauszug der 9. Symphonie von Beet-
hoven? Wer weiß, dass Wagner etwa 10000 Briefe geschrieben hat, unter denen zwar nur wenige verloren gegangen, aber viele von der Familie, namentlich von Cosima, vernichtet worden sind? Wo immer man einen Artikel zu lesen beginnt: Man findet einen neuen Blickwinkel.
Die ausufernde Rezeptionsgeschichte wurde weitgehend ausgespart, um das Werk, nicht seine Wirkung in den Mittelpunkt zu stellen. Doch ist Wagners Einfluss auf die Komponistengeneration des 20. und sogar des 21. Jahrhunderts gewaltig. Davon künden lesenswerte „Ausblicke“. Eine Lebenstafel wird ergänzt durch parallele Ereignisse in Politik oder Kultur. Ein Stammbaum der inzwischen weit verzweigten Familie Wagner steht am Anfang; Werks- und Namensregister am Schluss.
Hier ist rechtzeitig zum 200. Geburtstag des „Meisters“ ein kompetentes Nachschlagewerk entstanden. Weil manche Quellen von den Nachkommen noch unter Verschluss gehalten werden, mussten viele Fragen
offen bleiben.
Ursula Klein