Wolff, Christoph
“Vor der Pforte meines Glückes”
Mozart im Dienst des Kaisers (1788-1791)
Die Zauberflöte, die letzten drei Sinfonien, das Requiem Abschiedswerke eines Musikgenies. Dies scheint noch heute verbreitete Meinung über Mozarts letzte Schaffensphase und Ende zu sein. Besonders die fragmentarisch hinterlassene Totenmesse und die geheimnisvollen Umstände ihrer Entstehung scheinen zu belegen, dass Mozart selbst seinen Tod voraussah, das Requiem letztlich nicht für einen unbekannten Auftraggeber, sondern für sich selbst schrieb. Viele Romane und Filme, aber auch gelehrte Beiträge zur Musikgeschichte deuten diese letzten Werke des ausgebrannten, dahinsiechenden (wenn nicht vergifteten) und letztlich in einem Armengrab bestatteten Musikers in dieser Weise. Man spricht vom Spätwerk des auf sein Ende fixierten Mittdreißigers, das die klassische Phase der Musikgeschichte beschließt.
So weit, so legendenreich, so unlogisch. Der Musikforscher Christoph Wolff, Bach-Biograf und langjähriger Leiter des Leipziger Bach-Archivs, widerspricht dieser Sicht auf Mozarts letzte Lebensjahre vehement. Aus
einem Grund: Nichts deutet in Mozarts letzten Werken darauf hin, dass dieser selbst mit seinem baldigen Ende gerechnet habe. Die hinterlassenen Fragmente neben dem Requiem gibt es zahlreiche andere Skizzen, vor allem unvollendete Kammermusik zeigen im Gegenteil den Aufbruch zu etwas Neuem. Vor allem die Skizzen für Streichquintett zeigen eine neue Behandlung des polyfonen Satzes (der auf die Beschäftigung mit Bach und Händel zurückgeht). Auch im Requiem-Fragment ist dieser neue Zug bemerkenswert: Mozart strebt offenbar eine vom konkreten Todesfall-Ereignis abgelöste, allgemeingültige Form der Totenmesse an, ein exemplarisches Repertoirestück für seine ins Auge gefasste künftige Aufgabe als Kirchenmusiker am Stephansdom in Wien.
Schon Hildesheimer (1977) und Braunbehrens (1986) verwiesen viele anekdotische Details aus Mozarts Wiener Lebensumständen in den Bereich der Legende. Der Musikologe Christoph Wolff nun rückt dagegen mehr die Habenseite ins Licht seiner Betrachtung: Was wir wissen, ist, dass Mozart seit seiner Anstellung als k. k. Hof Kompositor (Ende 1787 übernahm er die Stelle des verstorbenen Gluck) zum ersten Mal über ein geregeltes Einkommen verfügte (800 Gulden jährlich) und für die Kammermusik zuständig war. Der Posten ließ ihm genug Zeit für anderes, da kaum Präsenz bei Hofe nötig war.
Diese Anstellung war ein für Mozart maßgeschneiderter Traumjob. Mozart nahm Aufträge an und bewarb sich um die Assistenz des gesundheitlich angeschlagenen Kirchenmusikers am Stephansdom. Aus England lockte man mit Opern-Aufträgen. Es gab keinen Grund, nicht daran zu glauben, dass finanzielle Nöte nicht bald behoben werden könnten und gesundheitliche Probleme vorübergehen würden.
Mozart hatte viele Pläne und eine Menge Angebote. Es schien voran und aufwärts zu gehen. Wir müssen uns von dem Glauben verabschieden, Mozart habe in dieser seiner besten Zeit lauter Weltabschiedswerke geschrieben. Wahrscheinlich kam Mozarts Tod für keinen überraschender als für ihn selbst. Es war ein Neuanfang mit Vollbremsung.
Matthias Roth


