Jacob, Cersten

Von Prüfungsangst zu Prüfungsmut, von Lampenfieber zu Auftrittslust

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schattauer, Stuttgart 2015
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 71

„Das menschliche Gehirn ist eine großartige Sache. Es funktioniert vom Moment der Geburt an – bis zu dem Zeitpunkt, wo du aufstehst, um eine Rede zu halten“, so Mark Twain. Die Bühne ist im Erleben vieler Menschen einer der gefährlichsten Orte der Welt. Die Bühne ist überdies ein Vergrößerungsglas für das Selbstwertgefühl. Ungeahnte Selbstzweifel können erstmals in einer Auftritts- oder Bewertungssituation auftauchen. Diese auftrittsassoziierte Problemtrance lässt sich in eine Lösungs- oder Flowtrance verwandeln, wenn es gelingt, die Grundsäulen gelingender Auftritte zu beachten und zu nutzen. Wie dies gelingen kann, ist vielen auftretenden und auch lehrenden Menschen in der Musik leider noch immer nicht hinreichend bekannt.
Nun ist ein neues Buch zu diesem so wichtigen Thema erschienen und es ist sehr lesenswert, was vorweg verraten sei. Der Autor Cersten Jacob kennt das Thema Auftritt gleich von mehreren Seiten. Er ist professioneller Schauspieler, Sprechwissenschaftler und praktizierender Auftrittscoach. Diese Multiprofessionalität tut dem Buch gut. Der Autor beschreibt in gut eingängiger Sprache wesentliche Aspekte von Lampenfieber und von gelingenden Auftritten ebenso wie die vielen kleinen Details, die für einen Auftritt genau so wichtig sein können. Hier gilt ihm großer Respekt und Anerkennung für diese Zusammenstellung. Er beschreibt Tricks und Tipps, mit Hilfe derer ein Auftritt mit größerer Wahrscheinlichkeit gelingen wird.
Wenngleich der Schwerpunkt sicherlich bei den sprechenden Auftrittskontexten liegt, dürfte auch für Musiker eine Menge an hilfreichen Informationen aus diesem Buch gezogen werden können. Vor allem den Lehrenden in der Musik sei dieses Buch neben einigen anderen guten Büchern zu dem Thema ans Herz gelegt. Denn sie sind diejenigen, die dafür sorgen können, dass sich in Zukunft wirklich etwas ändert und junge Musiker in puncto mentaler Stärke und emotionaler Auftrittskompetenz nicht mehr unvorbereitet zu Wettbewerben, Probespielen, Vorsingen und Prüfungen reisen müssen. Trotz der rudimentären Bemühungen, die im Feld zu verzeichnen sind, muss man leider nach wie vor feststellen, dass die allermeisten  Musikhochschulen die Themen mentale Stärke, Auftrittscoaching, emotionale Grundlagen von Spitzenleistungen und die Stärkung des Selbstwertgefühls noch immer sträflich vernachlässigen. Professionell ist das nicht. Verwunderlich auch, da die Hochschulen selbst dadurch weit unter ihren Möglichkeiten bleiben, denn die Studierenden und Absolventen, die zu Wettbewerben, Probespielen oder Vorsingen fahren und mental und emotional nicht gut vorbereitet sind, müssen häufig leider immer noch unter ihrem eigentlichen Potenzial bleiben.
Einzige Kritik an dem Buch ist, dass der Autor nicht auf die zeitgemäße Integration und Weiterentwicklung der Klopftechniken eingegangen ist. Somit entspricht vieles, was er zu den Klopftechniken schreibt, nicht dem neuesten Stand. Auch die Favorisierung des Muskeltests im Coaching und in der Psychotherapie sehe ich eher kritisch. Trotzdem ist das Buch sehr lesenswert und für Auftretende, Lehrende, Psychotherapeuten und Coaches sicherlich sehr hilfreich.
Michael Bohne