Gembris, Heiner / Daina Langner

Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt

Erfahrungen von Absolventen, Arbeitsmarktexperten und Hochschullehrern

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2005
erschienen in: das Orchester 04/2006 , Seite 87

In Ausgabe 6/04 dieser Zeitschrift wurde die Absolventenstudie von Heiner Gembris und Daina Langner bereits vorgestellt. Nun sind endlich sämtliche Ergebnisse in Buchform erschienen. Den Kern der Studie bildet die Frage, was die fertig ausgebildeten Musiker – Streicher, Bläser, Pianisten und Sänger – nach ihrem Hochschulstudium machen und womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen.
Hunderte Absolventen in ganz Deutschland gaben in Form eines ausführlichen Fragebogens Auskunft über ihren persönlichen Weg „von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt“. Zuvor beobachtete Missstände im Bereich der künstlerischen Ausbildung wie die mangelnde Praxisorientierung der Musikhochschulen, Unterschätzung oder gar völlige Ignoranz solch handfester Qualifikationen wie Selbstmanagement und Organisationsvermögen sowie das Missverhältnis zwischen den offenen Orchesterstellen und der stetig ansteigenden Studierenden- und Absolventenzahlen in künstlerischen Studiengängen sind von den in diesem Bereich hochkompetenten Autoren wissenschaftlich verifiziert worden.
Heiner Gembris ist seit Jahren in der Begabungsforschung und Begabtenförderung aktiv. Er ist Direktor des Instituts für Begabungsforschung in der Musik der Universität Paderborn. Daina Langner konnte durch ihre Orchestertätigkeit als Geigerin sicherlich kostbare Insider-Einsichten beisteuern. Aktuell ist sie als international gefragte Musikpsychologin ebenfalls im Bereich Begabungsforschung tätig.
Neben der Absolventen-Befragung beinhaltet die Studie einen Interviewteil: Hochschulprofessoren und Arbeitsmarktexperten wie Vorstände, Direktoren und Dirigenten deutscher Kulturorchester sowie Agenten von staatlichen (ja, das gibt’s!) und privaten Künstleragenturen haben sich u.a. zu der schwierigen Arbeitsmarktsituation und zu den gestiegenen Anforderungen des Musikmarkts an die frischgebackenen Absolventen geäußert.
Die Musikerausbildung wurde also auf drei Ebenen evaluiert: aus der retrospektiven Sicht der Absolventen, aus der internen Sicht der Hochschulprofessoren und aus der aktuellen Einschätzung der Arbeitsmarktexperten. Von Letzteren wurde wiederholt vom strukturellen Wandel in der Erwerbstätigkeit der Musiker und der notwendigen – aber noch kaum vorhandenen – Anpassung der Ausbildungsstätten an die neuen Erfordernisse des Arbeitsmarkts berichtet. Die Musiker wurden z.B. nach den Fertigkeiten gefragt, die sie heute brauchen, im Studium jedoch nicht oder nur mangelhaft vermittelt bekommen haben. Das mehrheitlich negative Urteil der Streicher über die fachlich-praktische Berufsvorbereitung wie Orchesterstimmenspiel, Orchesterstimmenkenntniss auch von Opern, Blattspiel etc. hat hier große Defizite aufgezeigt.
In Form von Tabellen mit kurzen erklärenden Texten werden ganz systematisch alle Ergebnisse dargestellt. Von Vorteil ist, dass die Autoren die Auswertung meist nach Studiengang und Hauptfach gruppieren. Ein Sänger muss sich nicht durch orchesterspezifische Details durchkämpfen, um zu erfahren, was vom schönen Traum einer Solistenkarierre übrig geblieben ist… Eine Flötistin hingegen kann sich freuen, unter dem Stichwort „Berufliche Tätigkeit“ zu lesen, dass immerhin 42 Prozent der befragten Bläser eine feste Stelle (unbefristete Vollzeitbeschäftigung!) im Orchester haben. Nach dieser Erkenntnis braucht sie nicht mehr verloren in der Landschaft herumzustehen (siehe Buchcover), sondern kann sich vielmehr einem präzisen Orchesterliteraturstudium widmen, „lernen, auch leise zu spielen und eigene Interpretationsvorstellungen zurückzustellen“, um sich dann durchschnittlich 13 Probespielen zu stellen (hartnäckige Kollegen aus dem Bläsersektor haben von bis zu 50 Probespielen berichtet).
Pianisten sind laut Studie gut beraten, wenn sie sich nicht mehr stundenlang in ihrem Übezimmer einsperren, um an vermeintlich karrierezündenden Wettbewerben teilzunehmen, sondern gute Kontakte zu Kollegen und Professoren pflegen – Assistenzstellen sind sehr beliebt… Und wenn sie das Unterrichten nicht lieben, sind sie ohnehin in anderen Berufen besser aufgehoben. Fakt ist, dass die meisten Absolventen nicht in der Lage sind, die nachweislich schlechte Arbeitsmarktlage mit ihrer eigenen Situation in Verbindung zu bringen – gravierende Fehleinschätzungen sind das Ergebnis. So schätzen die meisten Absolventen die Arbeitsmarktlage allgemein zwar als „schlecht“ ein, ihre persönlichen Chancen aber als „gut“ bis „sehr gut“.
Trotz aller Ausführlichkeit, mit der sich die Studie dem Thema widmet, stellt sich die Frage, inwieweit die Ergebnisse tatsächlich repräsentativ sind: Die Autoren vermuten zu Recht, dass eher erfolgreiche Absolventen die Fragebögen beantwortet haben. Darüber hinaus waren 86 Prozent derjenigen, die sich an der Befragung beteiligt haben, in Deutschland geboren. Das entspricht nicht der Realität an den Hochschulen.
Die Studie leistet aber einen längst fälligen, wertvollen Beitrag zur Ausbildungsevaluierung im internationalen Kontext. Und sie gibt Studierenden künstlerischer Fächer viele praktische Anregungen. Ob sich die Hochschulen den aufgeworfenen Fragen zur größeren Arbeitsmarktorientierung stellen, wird sich zeigen. Nicht nur Geiger und ihre Professoren lieben die Sololiteratur um vieles mehr als die lästigen Orchesterstellen… Und wie vermittelt man einer Studentenpersönlichkeit konkret die Orchestertugend Nr. 1, nämlich Anpassungsfähigkeit? Oder gar soziale Kompetenz? Hier könnte man mit einer Folgestudie anknüpfen.
Magdalena Bork