Neuschaefer, Katharina
Von allen Saiten
Eine Geschichte für Orchester und Erzähler
Eine Geschichte für Orchester und Erzähler? Das ist total untertrieben. Ein Drama ist es, ein Krimi, ein Lehrstück in Sachen Instrumentenkunde, ein musikalisches Kabinettstückchen, das man sofort ein zweites und drittes Mal hören will.
Im Cremona des 18. Jahrhunderts bewerben sich viele Geigenbauer um die Stelle des Hofinstrumentenmachers, die von einem Geigenbauwettbewerb abhängig gemacht wird. Luca, der Protagonist, ist längst nicht so genial wie die Brüder Stradivari, die das Erbe des Vaters hüten. Und obendrein wird Luca von Pedro, seinem Erzfeind, verspottet und verachtet. Wenn man doch nur dem Geheimnis des alten Stradivari auf die Spur kommen könnte! Ist es der Lack, sind es die Maße? Oder stand der Meister vielleicht mit dem Teufel im Bund? Klingen seine Geigen gar deshalb so unbeschreiblich, weil in jede die Seele eines Menschen gesperrt wurde? Luca meint sogar, den Seelentrichter gefunden zu haben: Golden sei er, mit einem kleinen Schlauch! Und auch die Nachbarin bekreuzigt sich, wenn ein Instrument aus dem Haus getragen wird. Das war keine Geige, das war eine Stradivari!
Neben all diesem spannenden Klatsch und Tratsch aus dem späten 18. Jahrhundert erfährt der Hörer viel über Instrumentenbau und Streicherklang, aber auch über die Wirkung von Musik überhaupt. Das Geheimnis des alten Stradivari war das Holz! Langsam gewachsen in großer Höhe, wo es kalt ist, dann zwanzig Jahre lang getrocknet, brennt es darauf, eine Geige zu werden. Eine Stradivari! Immer wieder blitzen kleine methodische Funkelsteine auf: Die Bratsche klingt stets etwas traurig, weich, dunkel, geheimnisvoll. Luca musste bei ihrem Klang an Nebeltage denken. Nun, die Bratsche wohnt ja auch eine Quinte tiefer als die Geige. Drum. Das alles wird dem Hörer kurzweilig und höchst anschaulich demonstriert. Eingerahmt wird die ganze Geschichte von einer Telemann-Suite TWV 55, und viele kleine Hörkostproben aus Streichermusiken von Haydn bis Arvo Pärt werden programmatisch genutzt. So klingt die Geige einmal nachdenklich, dann wieder verzagt oder verliebt oder unheimlich oder
Auf einer zweiten CD sind die kompletten Stücke zu hören, makellos eingespielt vom Münchner Rundfunkorchester unter Henry Raudales. Nicht zuletzt aber lebt eine Geschichte von ihrem Erzähler. Der heißt hier Udo Wachtveitl und ist ein Glücksfall, einer, der seine sympathische Stimme wunderbar wendig einzusetzen und damit die Hörer vom ersten Moment an in seinen Bann zu schlagen weiß. Leider ist das Booklet ein wenig mager geraten. So wüsste man z.B. gern mehr über Katharina Neuschaefer, der hier auf höchst eindrucksvolle Weise eine faszinierende Verbindung von Lehrstoff und Krimi gelungen ist.
Eine ganz andere Zielgruppe wird mit Pinocchio bedient. Wir hören den Mitschnitt eines Kinderkonzerts: Konstantin Wecker führt im Dialog mit dem jungen Publikum in den Stoff ein, wobei er zunächst mit vielen Suggestivfragen die Nähe zum Kasperltheater beschwört. Aber dann gehts los: Hereinspaziert! Eine Mischung aus Kabarett und Grand Opéra mit authentisch instrumentierten, mitreißenden kleinen Nummern, perfekt gespielt vom Münchner Rundfunkorchester unter Federico Rossi. Nichts fehlt: Chanson, Musette, Boogie, und der Held der Welt ist natürlich im Marsch verpackt mit Pfeifen, Becken und Peitschenknall! Ob in der Pinkepinke-Nummer auf der Bühne Steptänzer auftreten? Wie auch immer: Der Hörer nimmt die Kastagnetten auch als rein akustische Bereicherung mit Vergnügen wahr.
Zugegeben: Manche Texte, so etwa der des (Wal-)Kitzel-Liedes, sind ziemlich schlicht gestrickt. Geschenkt das kann schon mal passieren. Beim Danke, Papa! darf natürlich das zauberhafte Triangel nicht fehlen, dann Flauto dolce und schließlich wie bei jedem ordentlichen Musical eine mitreißende orchestrale Schlussapotheose. Beifall, bitte!
Bärbel Becker