Gansch, Christian
Vom Solo zur Sinfonie
Was Unternehmen von Orchestern lernen können
Der Titel klingt gleichzeitig prosaisch und ein wenig reißerisch. Das war wohl mit ein Grund dafür, warum der Autor selbst Musiker, Musikproduzent und Dirigent unmittelbar nach Veröffentlichung seines Buches in der Presse ausgiebig interviewt wurde. Dabei ist die Idee, die komplexen Abläufe innerhalb eines Sinfonieorchesters auf Wirtschaftsunternehmen zu übertragen, nicht neu. Das New Yorker Orpheus Chamber Orchestra, das seine sinfonischen Programme ohne Dirigent und in mühevoller kammermusikalischer Feinarbeit vorbereitet, bietet seit Jahren Kurse für Wirtschaftsmanager an. In Deutschland wurde diese Methode vor allem von der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, sporadisch aber auch von anderen Orchestern ausprobiert. Nachdem es in den Medien hierzu länger nichts mehr zu hören und lesen gab, bringen die aktuelle Berichterstattung und eine gute Öffentlichkeitsarbeit des Verlags das Thema wieder auf die Tagesordnung zurück.
Der Autor, inzwischen als Coach für moderne Unternehmenskommunikation tätig, legt die Latte hoch: Mit meinem Buch verbinde ich den Anspruch, an Hand der kommunikativen Prozesse in einem Orchester darzustellen, welches Bewusstsein diese Erfolgsfaktoren benötigen, damit sie am Ende auch in die Realität umgesetzt werden können. Kann er diesen Anspruch erfüllen? Zunächst war ich skeptisch, doch nach und nach legten sich die meisten Zweifel. Im ersten von fünf Kapiteln (Das Orchester als Unternehmen) beschreibt Gansch für den musikalischen Laien verständlich, wie eigentlich ein Orchester funktioniert, welche Strukturen, Hierarchien und Führungskräfte es gibt. Im Abschnitt Unternehmerinteressen und Arbeitnehmerrechte wird allerdings das Klischee bemüht, deutsche Orchestermusiker seien kaum kündbar; die Austrittswelle, die die Gewerkschaften heimsuche, solle für diese ein deutliches Zeichen sein, sich künftig für die Interessen ihrer Mitglieder mit mehr Weitblick einzusetzen. Da liegt der Autor, zumindest was die Situation der deutschen Musikergewerkschaft betrifft, daneben, da deren Mitgliederzahlen jüngst deutlich gestiegen sind.
Klargestellt wird allerdings auch, dass die amerikanische Musikergewerkschaft Proben und Aufnahmen auf die Sekunde genau abbrechen lässt. Da sei man in Deutschland und Europa doch wesentlich flexibler. Unter der Behandlung von Themen wie Gruppenzugehörigkeit und Milieus oder Druck und Lampenfieber zieht der Autor dann Parallelen zwischen vergleichbaren Situationen im Orchester und im Wirtschaftsleben, die durchaus zu überzeugen vermögen.
Im zweiten und dritten Kapitel (Vom Ich- zum Wir-Gefühl bzw. Das überstrapazierte Teamideal) geht es dann zur Sache: Das Orchester wird als permanentes gruppendynamisches Seminar beschrieben, was einen zunächst schmunzeln lässt, letztlich aber wohl zutreffend sein dürfte. Über die Feststellung Routine ist Stillstand kommt der Autor unter anderem zum Ergebnis, dass Mitspracherechte auch Grenzen haben müssen, um im Weiteren den in den vergangenen Jahren im Wirtschaftsbereich etwas verklärten Begriff der Teamfähigkeit zu relativieren und Mut zu Neuem zu favorisieren. Im vierten Kapitel (Führungsprozesse) geht es natürlich um die Rolle des Dirigenten, aber auch um die Führungsaufgaben einzelner Musiker innerhalb der Stimmengruppen. Auch hier stellt der Autor interessante Vergleiche zu Führungsvorgängen in Wirtschaftsunternehmen an. Im fünften und letzten Kapitel (Inspiration, Innovation) schließlich geht es darum, die menschlichen und emotionalen Aspekte der Zusammenarbeit in Orchestern und in Unternehmen zu beleuchten.
Obwohl eigentlich für Nichtmusiker aus Wirtschaftsunternehmen geschrieben, werden auch viele Berufsmusiker, Dirigenten und Orchestermanager die Lektüre dieses Buchs nicht bereuen.
Gerald Mertens