Klaus Peter Richter

Vom Sinn der Klänge

Eine kritische Musikgeschichte

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Königshausen & Neumann, Würzburg
erschienen in: das Orchester 7-8/2024 , Seite 64

In Abwandlung des Wortes von „den Gebildeten unter den Verächtern“, an die sich der Theologe Friedrich Schleiermacher 1799 in seiner Schrift Über die Religion gewendet hat, findet sich bei Klaus Peter Richter zu Beginn seines Buchs Vom Sinn der Klänge die Widmung: „Den Musikalischen unter den Verächtern der Metaphysik“. Diese Zueignung an die Leser:innen wirft damit schon ein erstes Licht auf das schwergewichtige Thema dieser „kritischen Musikgeschichte“. Denn deren Fragen und Gedanken widmen sich letztlich immer dem Sinn.
Der Verfasser bietet auf 816 Seiten stupende Gelehrtheit: sowohl in die historische Tiefe hinab als auch in die intellektuelle Breite der europäischen Musikgeschichte. Knapp gesagt: von Orpheus bis Stockhausen. Vom Mythos bis zur Teilchenphysik. Von der inneren Verbindung zwischen Kosmos, Natur und Mensch bis zur Moderne und ihrer Verweigerung von Sinn in der Kunst und dem Ende der Metaphysik als Sinngefüge der Welt und der Orientierung des Menschen in ihr.
Man stelle sich nun aber trotz des hohen intellektuellen Niveaus des Textes keine vor sich hin laufende abstrakte Reflexion vor, sondern ein Buch voller Fakten und Anekdoten (im besten philosophischen Sinn), von ideengeschichtlichen Debatten aus Geschichte und Gegenwart vieler Fachwissenschaften der Neuzeit: von Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Neurobiologie, Physik, ästhetischen Konzepten in Theorie und Praxis bis zu der alten und immer wieder aktuellen Streitfrage von „angeboren“ oder „erworben“.
Trotz der Fülle des Materials verliert Richter die Musik und seine Frage nach dem Sinn der Klänge nie aus dem Blick. Da „Sinn“ keine definierbare Kategorie ist, gibt es kein Ja oder Nein als Antwort, sondern nur die mühsame Spurensuche nach seinem möglichen Ort. Liegt der vielleicht prinzipiell in einer Welt, die über das auf einsame Höhen getriebene rationale Verstehen der Moderne hinaus Geltung hat: nämlich im Erlebnis? Also doch Metaphysik?
In zwölf großen Abteilungen von der Musica romana bis zur Musik des Technozän kann der Leser in übersichtlich und sachlich überzeugend gegliederten Kapiteln ungeheuer viel lernen über die Entwicklung der Musik. Einfach deshalb, weil hier nie ver-urteilt, sondern nur kenntnisreich be-urteilt wird, wie und warum in der Musik alles nachvollziehbar aufeinander folgte. So entstand das Phänomen eines Buchs, das ebenso gut als Musiklexikon wie als Geistesgeschichte gelesen werden kann.
Drei Mängel freilich hat das Buch: kein Register, kein Glossar, kein Literaturverzeichnis.
Kirsten Lindenau