Brinkmann, Reinhold
Vom Pfeifen und von alten Dampfmaschinen
Aufsätze zur Musik von Beethoven bis Rihm
Der verdiente Musikwissenschaftler und Siemens-Preisträger Reinhold Brinkmann versammelt hier vermischte Schriften, überwiegend Vorträge, aus den Jahren 1969 bis 2005. Wie der Titel schon nahe legt, sind es Gelegenheitsarbeiten, die zur Gelegenheitslektüre einladen: Zu vielfältig streuen sich die Themen Jugendstil, Schubert, Eisler, Goethe , um den Leser kontinuierlich zu fesseln. Doch wo immer man aufschlägt, findet sich auch leicht ein Anknüpfungspunkt des Interesses nicht zuletzt dank Brinkmanns Nähe zu allen Künsten. Zuweilen scheint der Autor sogar mehr Textkritik als Musikforschung zu betreiben, mehr an Zitaten, Biografien, Briefen und Gedichten interessiert zu sein als an musikalischer Faktur. Diese breite Kompetenz erlaubt ihm erhellende Querschläge in die Goethesche Editionsgeschichte oder zu Brahms Malerfreunden. Von Brinkmanns literaturwissenschaftlicher Neigung profitieren besonders die Liedanalysen: Hölderlin bei Rihm, Müller bei Schubert, George bei Schönberg.
Brinkmann ist Hermeneutiker durch und durch: Auch darin steht er der traditionellen Literaturwissenschaft nahe. Er demonstriert philologische Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit und meidet trotz unverhohlener Bewunderung für Adorno alles Genialische in Denken und Stil. Er scheut sich auch nicht, Adornos dialektisches Erkenntnisprinzip als das zu entzaubern, was es letztlich ist: eine Art intuitive, unmethodische Hermeneutik. Dass ausgerechnet zwei En-passant-Formulierungen Adornos übrigens zu Hindemith und Mahler Brinkmann zu seinem originellsten, essayistischsten Aufsatz inspirierten (der zugleich dem Buch seinen launigen Titel gab), ist nur recht und billig. Was er hier festklopft die Kunst Adornos, große Zusammenhänge im beiläufigen Detail zu explizieren , ist auch in Brinkmanns eigenen Texten höchste hermeneutische Tugend. Am überzeugendsten beweist er sie in seinem Aufsatz zur Ehrenrettung Hanns Eislers und in seiner Exemplifizierung der Veränderungen, die Beethovens Tonfall für die Kammermusik brachte. Hier blitzt im musikalischen Moment immer wieder erhellend das historisch Wesentliche auf, und wir begreifen nicht nur, was uns ergreift, sondern auch, warum es das tut.
Hans-Jürgen Schaal