Lück, Hartmut / Dieter Senghaas (Hg.)
Vom hörbaren Frieden
Vor vier Jahren veröffentlichte der Friedensforscher Dieter Senghaas unter dem Titel Klänge des Friedens die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit dem Frieden in der Musik in einem schmalen Bändchen (edition suhrkamp 2214). Dieser Hörbericht”, wie er ihn selbst nannte, kratzte jedoch fürs Erste kaum die Oberfläche dieses umfassenden Themas, sodass Senghaas sich wohl genötigt sah, gemeinsam mit Hartmut Lück als Herausgeber und einschlägig bekannten Autoren und Autorinnen das Thema zu vertiefen und auf ein musikwissenschaftliches Fundament zu stellen.
Vom hörbaren Frieden heißt der gewichtige zweite Versuch, dieses schwierige Thema zu fassen. Doch der Titel trügt, denn Frieden” ist in Musik nur selten zu hören, Krieg” hingegen umso häufiger. Warum dies so ist, erläutert Silke Wenzel in ihrem Beitrag Von der musikalischen Lust am Kriegerischen” unterscheidet sich Krieg doch gerade durch seine außergewöhnliche akustische Komponente von Zeiten des Friedens. Der ohrenbetäubende Lärm von Kanonen und Feuerwaffen, der Einschlag von Granaten und Bomben, der Schlachtenlärm des wildesten Kriegsgetümmels nimmt in den Schilderungen kriegerischer Auseinandersetzungen zu allen Zeiten eine herausragende Rolle ein: So ist es nicht verwunderlich, daß diese akustische Eindrücklichkeit, die stets das Töten und Getötet-werden impliziert, gerade in Musik nach Bewältigungsformen sucht
”
Die Bataille als akustische Literatur” erfüllt dabei mehrere gesellschaftliche Funktionen: Einerseits dient sie durch Trivialisierung und Ordnung des an sich chaotischen und lebensbedrohlichen Kriegsgeschehens der Bewältigung desselben; andererseits ist es nur ein kleiner Schritt dahin, daß Ausführende und Zuhörer von der Unmittelbarkeit der akustischen Darstellung in das Kriegsgeschehen hineingezogen werden und am fiktiven Spiel mitwirken”. In jedem Fall hat eine solche Darstellung des Kriegerischen in der Musik herrschaftsstabilisierende Funktion.
Doch wo bleibt nun der Frieden? Frieden ist in der Oper nicht heimisch” heißt der Beitrag von Jörg Calließ, der uns in einem Dreischritt gekonnt vor Augen führt, dass die Welt der Oper überraschend oft vom Krieg bestimmt wird, jedoch auch Geschichten erzählt werden, in denen Menschen am Ende so etwas wie Frieden finden”.
Eine die Gesamtheit des Erklingenden berücksichtigende Antwort auf die Frage, wie Frieden hörbar gemacht werden kann, versuchen die vier einleitenden Beiträge zu geben. Die eher pessimistische Sicht vertritt Martin Geck, der es als eine Unterforderung der Musik” empfindet, wenn man sie daraufhin befragt, was sie zum Thema ,Frieden zu sagen habe. Denn dazu kann sich ,Musik recht eigentlich nur anhand vorgegebener Texte oder Sujets äußern”. Für einen visionären Entwurf steht Claus-Steffen Mahnkopf mit seiner Suche nach dem Messianischen in der Musik”, das er als radikalen Einschnitt, an dessen Stelle die gesamte Weltsubstanz neu bewertet wird” sieht. Dies geschieht überraschend, widerfahrend, [
] ohne unmittelbare Erwartung, [
] sondern als Einbruch eines Anderen.” Welche musikalischen Konsequenzen dies haben könnte, exemplifiziert Mahnkopf vor allem am Werk Beethovens.
Die dritte Position schließlich, die Hartmut Möller einnimmt, könnte man als die pragmatische bezeichnen. Für Möller entsteht Frieden in der Musik in erster Linie durch gesellschaftlichen Diskurs. So sind z. B. helle” oder dunkle” Tonarten, wie sie in der Tonartensymbolik vergangener Zeiten lebendig waren, für uns heutige Hörer oft nicht mehr nachzuvollziehen. Andererseits erkannten Beethovens Zeitgenossen im Dona nobis pacem” der Missa solemnis keineswegs die hohe symbolische Bedeutung, die ihm aus dem Blickwinkel der Friedensthematik zugewachsen ist”.
Das Ringen um Frieden und den Kampf gegen Gewalt und Krieg der Komponisten des 20. Jahrhunderts zeigen die Beiträge zu Mahler, Eisler, Weill, Dessau, Schostakowitsch, Hartmann, Yun, Nono, Henze, Klaus Huber sowie Graciela Paraskevaídis und Coriún Aharonián. Peter Niklas Wilsons Beitrag über die beiden letztgenannten Komponisten erweitert dabei den eurozentrischen Blick wie auch das letzte Kapitel unter der Überschrift Brücken des Friedens mit Welt- und Popularmusik?” den Bereich außerhalb der klassischen E-Musik westlicher Industrienationen einer kritischen Überprüfung unterzieht.
Krieg und Frieden, Nationalismus, Aufschrei gegen Gewalt, Friedenssehnsucht, Militärkritik, Repression, Angst, Vision einer besseren Zukunft wer immer sich mit Themengebieten dieser Art im Zusammenhang mit Musik beschäftigt, wird an dieser umfangreichen, herausragenden Zusammenstellung nicht vorbeikommen.
Rüdiger Behschnitt