Raphael, Günter

Volume 1: Entrée/Volume 2: Dialoge für zwei Violinen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Querstand VKJK1134/1135
erschienen in: das Orchester 07-08/2012 , Seite 76

Der 1903 in Berlin geborene Günter Raphael gehört zu den Komponisten, deren Lebenslauf durch die Nazi-Zeit einen nachhaltigen Knick erfahren hat. Galt er in den 1920er Jahren als vielversprechendes junges Talent, so verlor er 1934 als „Halbjude“ seine Stelle am kirchenmusikalischen Institut in Leipzig, wurde einige Jahre später mit einem Berufsverbot belegt und zog sich mit seiner Frau nach Meiningen zurück. Erst nach dem Krieg gelang ihm trotz ständiger gesundheitlicher Probleme mit Lehrtätigkeiten in Duisburg, Mainz und Köln wieder einigermaßen der Anschluss an das deutsche Musikleben, wenngleich seine Werke auf Grund ihrer traditionsorientierten Ästhetik im Kontext der neuen Avantgarde es immer schwerer hatten, Beachtung zu finden.
Erst Günter Raphaels fünfzigster Todestag im Jahr 2010 lenkte die Aufmerksamkeit wieder mehr auf die Musik dieses außerordentlich vielseitigen Komponisten. In diesem Zusammenhang steht auch die Günter-Raphael-Edition des Labels Querstand, die eine lohnende Wiederentdeckung einiger kammermusikalischer Werke in zum Teil historischen Rundfunkaufnahmen bietet. So zeigt sich Raphael in der Bratschensonate von 1925 und dem 3. Streichquartett von 1930 als Vertreter eines expressiven Klassizismus, der sich an Vorbildern wie Brahms und Reger orientiert. Chromatisch erweiterte Tonalität, akzentuierte Rhythmik, ausgeprägte Kontrapunktik und motivische Arbeit sind die Kennzeichen dieser frühen Schaffensphase, in der Raphael klassische Form und romantisches Idiom verbindet.
Eine ganz andere Seite des Komponisten offenbaren die Werke der 1950er Jahre, die Einflüsse Hindemiths und Schostakowitschs aufweisen und dabei auch Elemente des Jazz integrieren. Das Concertino für Altsaxofon und Orchester, in einer Einspielung unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch, ist mit seinem tänzerisch-rhythmischen Gestus und dem markanten bläserbetonten Orchesterklang ein ausgesprochen originelles und erfrischendes Stück, das eine Nähe zu Kurt Weill erkennen lässt. Parodistisch geben sich die Morgenstern-Vertonungen der Palmströmsonate mit Fritz Wunderlich, in denen der spröde Klang und die stolpernden Rhythmen eines fünfköpfigen Instrumentalensembles die Skurrilität der Texte illustriert.
Nicht nur für pädagogische Zwecke sind die Dialoge für zwei Violinen sehr zu empfehlen. Es handelt sich um 45 Miniaturen, wobei im 1951 entstandenen ersten Teil des Zyklus vor allem die unterschiedlichen Spieltechniken der Violine im Zentrum stehen. Der sechs Jahre später hinzugefügte zweite Teil behandelt dann eher kompositionstechnische Prinzipien wie verschiedene Tonsysteme und kontrapunktische Verfahren. Der Schwierigkeitsgrad steigert sich dabei von relativ einfachen Stücken bis zu höchster Virtuosität. In der Verbindung von pädagogischer Zielrichtung und kompositorischem Anspruch, in der Einbeziehung von historischen Formen, Folklore und zeitgenössischen Tänzen ist dieses Lehrwerk durchaus auf eine Stufe mit Bartóks Mikrokosmos zu stellen.
Klaus Angermann