Volkslieder 2.0

SWR Vokalensemble und SWR Big Band, Ltg. Morten Schuldt-Jensen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: SWR79011CD
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 71

Unter der einfühlsamen Leitung von Morten Schuldt-Jensen singt das fulminante SWR Vokalensemble Stuttgart eine Bearbeitung von Edvard Griegs Peer Gynt-Suite zusammen mit der fetzig musizierenden SWR Big Band. Fesselnd, bunt und auch in die Tiefe gehend erklingt hier das pastorale Thema der Morgenstimmung mit starker lyrischer Inspiration. Man spürt die glasklare Atmosphäre des Gebirges. Auch die große dynamische Steigerung besitzt künstlerische Reife und polyfone Durchsichtigkeit. Die Sequenz Verleiht Flügel hat dann einen wahrhaft sphärenhaften Sound, der den Zuhörer berührt. Und Solveigssong überrascht mit entwaffnender Volkstümlichkeit. Solvejg ist Peer Gynts Jugendliebe, die auf ihn gewartet hat. Die Rückkehr bedeutet für Peer Gynt endgültige Erlösung, was musikalisch auch auf dieser CD sehr ergreifend zum Ausdruck kommt. Als Kontrast zum Moll-Teil tritt ein hell strahlender Dur-Teil hervor. Harmonische Fragen werden ganz bewusst nicht beantwortet.
Im rasanten Arrangement von Helge Sunde gefallen die „Volkslieder“ mit Titeln wie Schlafliedchen, Auf einem Baum, Wenn ich ein Vöglein wär’ und Lore-Ley. Sunde, ein norwegischer Posaunist, hat Volksliedsätze ausgewählt und daraus reizvolle Arrangements für Bigband und Chor gemacht, die manchmal sogar ganz bewusst „schräg“ klingen, dafür aber von raffinierter Wirkung sind. Wenn ich ein Vöglein wär’ fesselt dabei als eher sanfte Jazz-Ballade, während die Lore-Ley mit frechem Funk-Rock daherkommt.
Das SWR Vokalensemble nimmt als Erzähler die Rolle der Chorus-Bläser ein. Rhythmus, Farbakzente und atmosphärisch dichte Melodik herrschen vor. Als fast atemloser Thriller gefällt dagegen das Schlafliedchen, wo sich Chor und Bigband bitonal überlagern. Die Mutter schüttelt hier die Träume wie Blüten aus dem Baum. Chor und Bigband wetteifern ferner in elektrisierender Weise bei Auf einem Baum ein Kuckuck saß. Dynamische Extreme werden auch bei Wenn ich ein Vöglein wär’ und Lore-Ley ausgereizt.
Zuletzt folgt noch Ralf Schmids fulminantes Stück Celebrating Beau­ty in Slow Motion, wo sich die einzelnen Themen in elektrisierender Weise kreuzen. Metrum und Harmonik scheinen hier immer wieder zu explodieren. Vor allem beeindruckt der Klangfarbenreichtum, mit dem das SWR Vokalensemble Stuttgart hier aufwartet. Die Stimmen klingen erfrischend hell, klar und intonationsrein. Eine geheime Verbindungslinie besteht zwischen den Motiven und Intervallspannungen, die Morten Schuldt-Jensen facettenreich beleuchtet. Ein musikalisches Mosaik, das in vielen Farben glitzert.
Alexander Walther