Berlioz, Hector

Vocal Works with Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic CD 93.210
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 67

Ob in Brüssel, Paris, Salzburg, bei der RuhrTriennale oder in den Aufnahmestudios des SWR: Allerorten widmet sich der vielseitige französische Dirigent Sylvain Cambreling dem Schaffen seines genialen Landsmanns Hector Berlioz. Stets wird Cambrelings ausgeprägter Sensus für den Fluss der „pleines mélodies“, für die Klangvaleurs der Berlioz’schen Musik und ebenso für ihre Brüche, Überraschungen und „Unerhörtheiten“ gerühmt.
Mit dem vorzüglichen SWR Sinfonieorchester, dessen Chefdirigent er seit 1999 ist, hat Cambreling bereits zwei Berlioz-Einspielungen produziert. Von diesen unterscheidet sich die vorliegende dritte CD vor allem dadurch, dass sie weit abweicht von den Wegen des gängigen Repertoires. Selbst emsigsten Opern- und Konzertbesuchern dürfte kaum bekannt sein, dass der so genannte Exzentriker Berlioz – in Wahrheit stand kaum ein anderer Komponist derart im Zentrum der musikalischen Romantik – neben Bühnenwerken, Oratorien und sinfonisch-dramatischen Hybriden eine Reihe außergewöhnlich schöner und höchst gesanglicher kürzerer Vokalpiècen komponiert hat. Zumindest hierzulande werden diese Werke schlicht nie gespielt. Was uns dabei entgeht, dokumentiert diese rundum gelungene CD eindrucksvoll. Sie vereint fünf solistische und sechs Chor-Kompositionen und präsentiert darin einen „unbekannten“ Komponisten, dessen Vokalmusik in einer Traditionslinie von Gluck über Gossec bis Méhul und LeSueur – Berlioz’ Lehrer – steht und doch in seiner Origina­lität sogleich zu erkennen ist.
Berlioz hat seine Gesangswerke häufig verschiedenen Aufführungsanforderungen angepasst. Viele der hier eingespielten Stücke existieren in diversen Fassungen: So entstammen La belle voyageuse, der Chant sacré und Hélène ursprünglich dem Klavierlieder-Zyklus Neuf mélodies op. 2, einer Huldigung an Irland. Der Poesie und dem exquisiten Reiz etwa von La Captive (Berlioz bekannte, er selbst vergöttere dieses als „Orientale“ bezeichnete Stück), Zaïde oder Sara la baigneuse steht die nicht minder faszinierende Monumentalität der drei unter dem Werktitel Tristia veröffentlichten kurzen Chorwerke gegenüber. Hier begegnet uns die Atmosphäre des Requiems oder der Grande symphonie funèbre et triomphale.
Laura Aikin und Lani Poulson, zwei junge Stars der internationalen Opernbühne, brillieren im frivolen Duett von der „badenden Sara“ und erfüllen ihre Soli mit Esprit und lyrischer Intensität. Das SWR Vokalensemble gestaltet Berlioz’ für deutsche Ohren gelegentlich etwas unausgewogen anmutenden Chorsatz mit aller Perfektion und Klangschönheit, für die diese Truppe zu Recht gerühmt wird. Das hoch zu lobende SWR-Sinfonieorchester offeriert einen klar konturierten und zugleich warmen Klang, der zur Unterstützung der vokalen Kräfte bestens disponiert ist.
Gerhard Anders