Möller, Steffen

Vita Classica

Bekenntnisse eines Andershörenden

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Scherz, Frankfurt am Main 2009
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 60

„Seit der Pubertät verstecke ich es. Aber nun ist Schluss mit der infantilen Geheimniskrämerei. Demnächst werde ich vierzig Jahre alt, Zeit für einen Schlussstrich unter die elende Heuchelei.“ So beginnt ein Geständnis der besonderen Art: Steffen Möller, Schauspieler, Kabarettist und Buchautor, outet sich als Klassik-Fan, der seit Jahrzehnten heimlich seiner Leidenschaft frönt. „Klassik gilt als Abturner. Man wird belächelt und geächtet, zumindest wenn man unter fünfzig ist, Musik nicht als Broterwerb betreibt und nicht in Kreisen verkehrt, in denen man ,Hubertus‘, ,Otto‘ oder ,Frederick‘ heißt und in Salzburg oder Bayreuth Premieren-Sekt schlürft.“
Dennoch: Die Klassik hat es Möller seit seiner Kindheit angetan. An seinem 13. Geburtstag schenkt ihm seine Mutter die Feuerwerksmusik von Händel und die 5. Symphonie von Beethoven – reiner Zufall, die Kassetten gab es zusammen mit einer Abba-Kassette im Angebot, aber sie verändern Steffen Möllers Welt. Die Musik seiner Altersgenossen interessiert ihn nicht, erst viel später wird er entdecken, dass auch die so genannte U-Musik ihren Reiz hat. Stattdessen sammelt er Klassik-Platten, besucht mit 15 Jahren sein erstes Sinfoniekonzert und setzt der Tanzschule Anton Bruckner entgegen. „Während alle meine Freunde den Tanzkurs ,Anfänger II‘ belegten und sich sonntags zusätzlich zum Tanztee verabredeten, saß ich zu Hause und hörte Bruckner-Symphonien.“ Eine ungewöhnliche Pubertät, die sich weitgehend im Verborgenen abspielt, untermalt von klassischer Musik.
All das erzählt Möller auf amüsante Weise, flott, witzig und voll Ironie. Er wird zum Gefolgsmann von Theodor W. Adorno, steht der Musiktheorie misstrauisch gegenüber („So war das mit den Theoretikern. Sie kamen immer erst an, wenn die Künstler schon längst weitergezogen waren.“) und verfolgt seine Klassikleidenschaft konsequent in jeder Lebenslage, ob er mit den Chopin-Nocturnes nach Griechenland fährt oder im Auto Beethoven-Klavierkonzerte hört – freilich nur, wenn er allein ist. „Für unerwartete Mitfahrer hatte ich aber natürlich stets zwei Tarnkassetten mit gängiger Münze dabei: Van Halen und die Rolling Stones.“
Dabei ist Möllers „Outing“ mehr als nur die unterhaltsame Beschreibung eines von klassischer Musik geprägten Lebenswegs, vielmehr eine Liebeserklärung an jene Klassik, die nichts mit „Frührentner-Sofahaftigkeit“ zu tun hat. Möllers Zugang ist modern und spritzig, aber deshalb nicht weniger kenntnisreich. Der Popularisierung der Klassik kann er gar nichts abgewinnen; die heitere Klassik-Auswahl diverser Radiosender ist für ihn nur eine „dämliche Marketingphilosophie“: „Warum war ich zum Bruckner-Fan geworden? Weil ich gerade in dieser angeblich düsteren Musik lebendige, ekstatische Momente fand.“
So ist Vita Classica auch eine Aufforderung zum Selbst-Hören, eine Einladung, doch einmal mit offenen Ohren und bereitem Herzen durch die Klassik-Abteilungen der großen Kaufhäuser zu wandern. Vielleicht trifft man dort ja auch auf Steffen Möller.
Irene Binal