Barber, Samuel / Johannes Brahms
Violinkonzert op. 14 / Violinkonzert D-Dur op. 77
Die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts waren bestimmt von einem deutlichen Ablösungsprozess von den musikalischen Traditionen des vorangegangenen Jahrhunderts. Für das althergebrachte, auf einen Virtuosen zugeschnittene Solokonzert gab es in den Zeiten des Aufbruchs keinen Raum mehr. Wenig später in den Dreißigerjahren schickten sich allerdings einige Komponisten im Zuge der Konsolidierung des musikalischen Fortschritts bereits wieder an, das Genre zu neuer Blüte zu erwecken.
Zu diesen gehört neben manchem der Dodekafoniker auch der an tonalen Strukturen festhaltende Samuel Barber, dessen 1939 komponiertes Violinkonzert seine Entstehung dem Auftrag des Gönners eines begabten Geigers verdankt. Sind die beiden ersten Sätze des Konzerts eher lyrisch gehalten, so setzt Barber im Finalsatz (Presto in moto perpetuo) ganz auf Brillanz und Virtuosität.
In ihrer neuen Einspielung dieses Konzerts bleibt die Geigerin Ursula Schoch, derzeit Konzertmeisterin des Koninklijk Concertgebouworkest in Amsterdam, der nötigen Ausdruckswärme der ersten beiden Sätze nichts schuldig, wie sie ebenso auch der technischen Herausforderung des Schlusssatzes gerecht zu werden vermag. Sie intoniert klangschön, legt Wert auf eine empfindungsreiche tonliche Rundung und versteht die Klippen im zuweilen durchaus auch einmal seichteren Fahrwasser von Barbers musikalischer Textur sicher zu umschiffen. Dem toccatenhaften Laufwerk des rasenden Finalsatzes haftet allerdings etwas Etüdenhaftes an, auch wenn Schoch dem Gleichmaß der Motorik Barbers des Öfteren durch eine dynamische Abstufung gleich einem unterscheidenden Fokussieren auf die Ebenen von Nähe und Ferne entgehen will.
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen vermag die Solistin unter der Leitung von Pavel Baleff recht flexibel zu begleiten. Klanglich zeigt sich der Orchesterpart allerdings vielfach etwas flauschig und auch relativ farbarm. In der Orchesterbegleitung von Brahms Violinkonzert op. 77, das Ursula Schoch dem Barber-Konzert beigefügt hat, erweist sich die Württembergische Philharmonie ausdrucksmäßig auffallend unfrei. Nüchtern und emotionsarm bleibt die melodische Bewegung, ohne rechten Ausdruckswillen die Motivik und das Zeichnen der Figuren. Der Finalsatz zeigt sich ziemlich bodenständig und verbleibt zu sehr in einer etwas abzählend anmutenden und alle Eleganz vermissen lassenden metrischen Passgenauigkeit.
Schoch dagegen pflegt auch hier den ihr eigenen leuchtend präsenten, intonationsmäßig scharf konturierten Ton, weiß in der Kadenz des Kopfsatzes mit agogisch diffiziler Geschmeidigkeit zu gefallen und vermag dem Adagio mit angemessener Empfindungstiefe zu begegnen. Doch auch sie geht im Brahms-Konzert in gestalterischer Hinsicht kaum Risiken ein, dem zurückhaltenden Ausdrucksspektrum fehlt das Geheimnis, die eng gesteckte künstlerische Zielgerade kennt weder eine bohrende Intensität noch ein emphatisches Aufschwingen.
Thomas Bopp