Bruch, Max / Niccolo Paganini

Violinkonzert Nr. 1 g-Moll op. 26 / Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 6

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Claves 50-2808
erschienen in: das Orchester 11/2008 , Seite 66

Sie hat sich zwei der besten Beispiele romantischer Violinkonzerte ausgesucht: Alexandra Soumm, die junge österreichische Geigerin, hat keine Scheu vor großen Namen oder bedeutenden Werken. Doch nicht jedes Meisterwerk, wie wir es heute ohne große Nachfrage akzeptieren, wurde vom damaligen Publikum bei der Erstbegegnung als ein solches anerkannt und begrüßt. Da liefert Max Bruch ein fabelhaftes Beispiel. Über zehnmal legte er die g-Moll-Komposition op. 26 beiseite und holte sie nach einer Pause wieder hervor. Das gilt für alle drei Sätze. So dauerte es bis zur gültigen Endfassung immerhin vier Jahre. Und wenn Bruch nicht mit dem prominenten Zeitgenossen und Geigenpapst Joseph Joachim lebhaft korrespondiert hätte, wäre vielleicht das Stück in der privaten Versenkung verschwunden: gescheitert an den eigenen Ansprüchen und kühnen Hoffnungen.
Und wie geht eine jugendliche Interpretin im Alter von 19 Jahren an dieses inzwischen so „bruchlos“ wirkende Konzert heran? Erstaunlich reserviert, gefühlvoll, aber ohne jeden sentimentalen Drücker, schmiegsam im Ton, aber voller Energie (Adagio), engagiert, aber nicht kämpferisch oder sogar aggressiv (Allegro energico). Musik für die Ohren – und auch für den Kopf und zugleich für die Seele. Dass dies alles im Lot, in der Balance ist, hat mit der inneren Ruhe, ja Gelassenheit zu tun, mit der Soumm (und auch Georg Mark mit der begleitenden, dezent auftretenden Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz) uns Bruch vorstellt. Als eine Folie für Wohllaut, für Nachsinnen, für Respekt vor dem Werk, für Hingabe, für einen instrumentalen Dialog auf dem Podium. Die Interpretation wirkt nicht, als wollte die Geigerin Orchester, Dirigat und Auditorium überrumpeln. Zu sorgfältig und partnerschaftlich führt Alexandra Soumm ihre Auffassung von Max Bruchs Immer-noch-Hit vor.
Bestätigt wird dieser Eindruck bei der geigerischen Attitüde eines Paganini. Auch hier treibt die Solistin die Virtuosität nicht auf die Spitze, will nicht den Hör-Blick auf ihre Selbstzweck-Künste auf den vier Saiten lenken. Das Gegenteil ist der Fall. Sie hält mit den Ansprüchen scheinbar mühelos mit, versenkt sich in Doppelgriffe und Akkordbrechungen, in Niccolo Paganinis glitzernde Klänge à la Rossini. Aber: Sie entdeckt bei dem einst als Teufelsgeiger apostrophierten Künstler jede Menge poetisches Material, das sie genießerisch vor uns ausbreitet. Glanz entsteht hier fast nebenbei. Die Romantik, die aus Paganini und seinem Erstling spricht, wird durch die Verbindung von Lyrik und Leidenschaft geprägt. Alexandra Soumm bringt diese Pole, die sich aber nie widersprechen, als Konzeptgedanke mit dem Zwang zur Einheitlichkeit zusammen.
Von dieser Geigerin, die in Wien und Graz studierte, inzwischen schon Wettbewerbserfolge vorweisen kann und von großen Dirigentenpersönlichkeiten (Michel Plasson beispielsweise) zielgerichtet gefördert wird, wird man noch einiges hören. Das ist ausschließlich positiv gemeint. Alexandra Soumm scheint über Intellekt und Emotion zu verfügen, sodass Spiritualität und Sinnlichkeit im Violinklang ihrer Stradivari vorzüglich vereint werden. Die nächsten CD-Aufnahmen sind bereits geplant. Darauf darf man sich freuen.
Jörg Loskill