Berg, Alban

Violinkonzert

Klavierauszug mit zusätzlich bezeichneter Violinstimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel/Henle, Wiesbaden/München 2010
erschienen in: das Orchester 10/2010 , Seite 72

Bergs Violinkonzert ist das einzige zwölftönige Werk überhaupt, das Eingang ins allgemeine Repertoire gefunden hat und regelmäßig aufgeführt wird. Das überrascht kaum, denn es ist nicht nur formal leicht zu überschauen, verfährt in der motivisch-thematischen Durchgestaltung ganz traditionell oder zitiert Volksweisen und einen Bach-Choral, sondern nutzt auch eine Zwölftonreihe, die eine pseudotonale Akkordstruktur direkt ermöglicht. Zudem ist das Verhältnis von Solo und Orchester konventionell gehalten, und der Solopart erfordert keine übermäßig vertrackte Spieltechnik und klingt noch in den kompliziertesten Doppelgriffen ansprechend. Das Werk besitzt als letzte Komposition von Berg, das er selbst nicht mehr hören konnte, sowie durch die Widmung „Dem Andenken eines Engels“ (gemeint ist Manon Gropius, deren allzu früher Tod Berg erschütterte) eine Aura, die es vor allen anderen Werken der Zeit auszeichnet. Berg selbst äußerte sich denn auch: „Wir bleiben halt unverbesserliche Romantiker! Auch mein neues Violinkonzert bestätigt es wieder.“
Jeder, der Frank Peter Zimmermann als Interpreten dieses Werks erleben konnte (er hatte es auch 1991 auf Tonträgern eingespielt), wird dankbar sein, nun seine spieltechnische Einrichtung der Solostimme studieren zu können; denn seine Interpretation besticht durch eine bezwingende intelligente Musikalität. Den Klavierauszug erstellte Jan Philip Schulze, der sich leider nicht zu den virulenten Problemen von Auszügen zwölftöniger Werke äußert (Vollständigkeit der Reihenabläufe!). Ob er den von Berg selbst noch durchgesehene Auszug von Rita Kurzmann verdrängen wird, muss sich noch erweisen.
Für die Edition zeichnet Michael Kube als bewährter Herausgeber verantwortlich. Er stützt sich auf die vier authentischen Quellen, auf die sich bereits Douglas Jarman bei seiner Edition des Werks in der Berg-Gesamtausgabe stützte. Dass Kube diese Edition übergeht, bleibt sehr bedauerlich, weil es Unterschiede gibt, die klärungsbedürftig sind. Dazu nur einige Beispiele zum ersten Satz in der Solostimme im Vergleich zur Jarman-Edition: Takt 37 fehlt ein Zäsurzeichen; Takt 50 fehlt eine Decrescendogabel; Takt 80 steht vor der siebten Note ein Auflösungszeichen (kein b-Vorzeichen); Takt 124 wäre die Bogensetzung und Artikulation an Takt 120 anzugleichen; Takt 127 steht vor der unteren Note des dritten Intervalls ein Auflösungszeichen (kein b-Vorzeichen); Takt 133 ist das Hauptstimmen-Zeichen erst zur drittletzten Note notiert. Es ist gewiss ratsam, stets auch wichtige Editionsarbeiten zu beachten und zu kommentieren, die bereits geleistet worden sind. Der Druck ist im bewährten Henle-Standard schlechterdings vorbildlich.
Giselher Schubert