Krein, Grigorij / Samuil Feinberg
Violin Sonatas
Das Genre der Violinsonate wurde im Russland des 19. Jahrhunderts nur spärlich bedient. Erst in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ändert sich dieses Bild mit den Violinsonaten von Nikolaj Medtner und Nikolaj Roslawez. Ins internationale Podiumsrepertoire gelangten die beiden Prokofjew-Sonaten aus den 1940er Jahren und die Schostakowitsch-Sonate von 1968. Hier und da begegnet man Sonaten von Edisson Denissow (1962), Alfred Schnittke (1963 bis 1994) oder Nikolai Kapustin (1992).
Dazwischen, man ahnt es, gibt es noch einiges mehr zu entdecken. Die vorliegende CD bricht auf beeindruckende Weise eine Lanze für zwei russische Komponisten der Generation zwischen Skrjabin und Prokofjew, deren hier vorgestellte Violinsonaten allerdings ein Zeitraum von fast 50 Jahren trennt.
Die Harmonik der zweisätzigen, etwa 20-minütigen G-Dur-Sonate op. 11 von Grigorij Krein (1879-1957) steht ganz unter dem Einfluss von Alexander Skrjabin, zu dessen Lebzeiten sie 1913 noch entstand. Aspekte der Sonatenform treten zugunsten einer üppig wuchernden, fantasiehaften Entwicklung zurück, die sich mitunter bis ins rauschhafte Wechselspiel beider Instrumente steigert ein Werk, so schreibt Hanspeter Krellmann im Begleittext, dessen Verständigungsanforderung rezeptionsaktive Sinnenträger voraussetzt (gemeint wohl: Man muss gut zuhören).
Gegenüber dem vorrevolutionär jugendlichen Gestus von Krein zieht die um 1960 geschriebene Violinsonate op. 46 des auch als Bach-, Beethoven- und Skrjabin-Spieler hervorgetretenen Pianisten Samuil Feinberg (1890-1962) das vorläufige Resümee eines von den Imponderabilien der sowjetischen Kulturpolitik letztlich unbeeindruckten Lebenswerks mit nicht weniger als zwölf Klaviersonaten zwischen 1915 und 1962. Die fünf Sätze Preludio, Scherzo, Intermezzo, unbezeichneter Satz und Epilog scheinen mehr auf eine originelle suitenartige Anlage hinzudeuten. Die Tonsprache, in Feinbergs frühen Werken ebenfalls sehr auf Skrjabin bezogen, atmet hier oft den karg-expressiven Ernst einer Schostakowitschnahen Linienführung, betörend im Dolcissimo-Gestus (Intermezzo) und sarkastisch bis bedrohlich in den motorischen Partien (Scherzo, 4. und 5. Satz).
Die Interpreten erweisen sich in den Sonaten ebenso wie in drei mehr der russisch-jüdischen Schule zuzurechnenden kürzeren Stücken Kreins als bestens aufeinander eingespielt in allen rhythmischen und artikulatorischen Belangen. Ilona Then-Bergh verfügt über einen gediegenen Ton mit wandlungsfähigem Vibrato, und Michael Schäfer bleibt akkordischen Massenanforderungen nichts schuldig. Dort, wo die Geigerin subtilste Klangbereiche auslotet (etwa im Intermezzo der Feinberg-Sonate), lässt der Pianist mitunter die kongeniale Mischung aus zartestem Anschlag, Millimeter-Pedaltechnik und zeitlosem Rubato vermissen woran eine leicht klavierlastige Aufnahmetechnik sicher ihren Anteil hat.
Rainer Klaas