Brahms/Ligeti

Violin Concertos

Augustin Hadelich, Violine, Norwegian Radio Orchestra, Ltg. Miguel Harth-Bedoya

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Warner Classics
erschienen in: das Orchester 09/2019 , Seite 63

Ungarische Volksmusik eint, wenn man denn dem deutsch-amerikanischen Geiger Augustin Hadelich folgen will, die Violinkonzerte von Johannes Brahms und György Ligeti. Außerdem, so äußert sich der vom Magazin Musical America 2018 zum „Instrumentalisten des Jahres“ Gekürte, haben die gut 110 Jahre entfernten Werke eine ganze Reihe Ähnlichkeiten in der Art des Zwiegesprächs zwischen Solist und Orchester.

Beide Konzerte auf einer CD gegenüber – oder besser: nebeneinander – zu stellen, ist gleichwohl ungewöhnlich. Und ganz schön ambitioniert. Gehört das Brahms-Konzert zum Muss-Repertoire aller international erfolgreichen Geiger, ist das immerhin auch halbstündige Ligeti-Konzert nur selten live zu hören. Dabei ist das 1993 von Saschko Gawriloff uraufgeführte virtuose Spektakel aus der Feder des viele Jahre in Köln und Hamburg wirkenden Ungarn ein vergleichsweise harmonisches Werk. Mittelalterliche Musik, Obertonharmonik, folkloristische Melodien und Rhythmen verknüpfen sich mit avantgardistischen Strukturen, wie sie Ligeti in den 1960ern entwickelte.

Der Violinpart nutzt alle erdenklichen Spieltechniken zur Ausbreitung einer breiten Farb- und Emotionspalette. Das Orchester ist ebenfalls vor allerlei ungewöhnliche Aufgaben gestellt: Einige Holzbläser spielen zwischendurch auf Okarinas, Schlagzeuger auf Lotusflöten, Konzertmeister und Solobratscher auf umgestimmten Instrumenten. Mikrotonalität, abgeleitet aus der natürlichen Obertonreihe, spielt eine wesentliche Rolle. Und so fort. Zu allem Überfluss ist die Adès-Kadenz, die Hadelich hier spielt, geradezu wahnwitzig und fast noch schwerer als der Solo-Part.

Wo all dies zusammengenommen eine weitgehende Absenz des Werks im normalen Konzertbetrieb erklärt, sorgt Hadelichs Einspielung mit dem ausgezeichneten Orchester des Norwegischen Rundfunks unter Miguel Harth-Bedoya, so zumindest bleibt zu wünschen, für ein Umdenken. Denn Ligetis Violinkonzert erweist sich als einer der musikalischen Meilensteine des 20. Jahrhunderts und aller Mühen wert.

Der in New York lebende Musiker, Sohn deutscher Eltern, aufgewachsen in der Toskana, hat sich nach einem schweren Unfall in seiner Jugend, bei dem ein Großteil seiner Haut verbrannte, zu einem hoch angesehenen Geiger entwickelt. Nun, 35-jährig, gebietet er über einen Ton und eine Technik, die auch das Brahms-Konzert in betörenden Schönklang und bisweilen reinste Poesie verwandelt. Im vertrauten Wechselspiel mit dem Orchester entstehen außergewöhnlich dichte Momente der Harmonie.

Die eigene Kadenz, mit der Hadelich den opulenten Kopfsatz beendet, spürt in gänzlich romantischem Ton dem Vorangegangenen nach – eine sehr persönliche, feine Alternative zur allgegenwärtigen Joachim-Kadenz. Das Adagio singt in einem unendlichen Bogen, der Schlusssatz tanzt furios zum Schlussakkord. Ein gewagtes, aber sehr gelungenes CD-Projekt.

Armin Kaumanns