Casella, Alfredo

Violin Concerto / Triple Concerto

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio 71099
erschienen in: das Orchester 04/2007 , Seite 85

Er war Pianist, Dirigent und Komponist: Alfredo Casella (1883-1947). 1908 stellte der Fauré-Schüler seine erste Sinfonie vor. Der Turiner, der später in Paris und Rom lebte, schrieb Opern und kümmerte sich um die Editionen von früheren Kollegen wie Bach oder Mozart, widmete sich der Kammer- und der sinfonischen Musik, legte seine musikwissenschaftlichen Gedanken in etlichen Büchern vor, u.a. in der Technik des modernen Orchesters und tanzte auf vielen musikalischen Hochzeiten.
Das Violinkonzert schrieb er 1928, das Triplekonzert entstand 1933. Das erstgenannte Opus widmete er dem ungarischen Virtuosen Joseph Szigeti, das andere Stück war ein Dankeschön an das von ihm gegründete Trio Italiano (zusammen mit Alberto Poltronieri und Arturo Bonucci). Hört man beide Kompositionen in einem Durchlauf, wird man auf bestimmte Elemente, Strukturen, Traditionen aufmerksam: Obwohl Casella als Erneuerer, als Reformer gilt, vertraute er dem Melos, den barocken Vorbildern und einer neoklassizistischen Musikheimat, die ihn zumindest in diesen Werken als Feind von kühnen Freiheiten der Avantgarde ausweist. Casella schreibt eine gute, durchdachte, funktionale, weltoffene und gediegene Orchester- und Solistenmusik, die in der Tat uns Heutige als Hindemith-nah, also neoklassizistisch, berührt. Experimente? Nein, stattdessen handwerkliche, elegant konditionierte Gebrauchsmusik. (Was viele heute als Abwertung verstehen – so ist diese Einschätzung nicht gemeint.)
Hört man sich beim Violin- und beim Triplekonzert nach geistigen Nachbarn um, dann wird man schnell fündig bei Strawinsky, Bartók, Mahler oder Schönberg (dem Frühwerk). Das Violinkonzert besitzt sogar romantische Züge, das gilt ebenso für das Adagio wie für den ersten Satz mit wechselnden Tempi; das Triplekonzert, übrigens von Ericj Kleiber in Berlin uraufgeführt, geht auf die formale Anlage eines barocken Concerto grosso zurück. Die drei Soloinstrumente stehen als Einheit dem Orchester-Tutti gegenüber. In diesem Dialog entfaltet sich die Instrumentierungskunst Casellas.
Die CD ist aufschlussreich. Sie verschnörkelt nichts, sie dämonisiert nicht, sie will nicht brisante Funken aus Casellas Kompositionen schlagen. Sie wirkt anständig, respektvoll und gut gelaunt – somit steigen die beiden Dirigenten wie das RSB und die drei Solisten mit dem ausgezeichneten, schön formulierenden Violinisten Matthias Wollong an der Spitze auf freundlich-hellem Niveau ein. Casellas Musik gibt ihnen, aber auch uns Hörern keine Probleme auf.
Michael Sanderling (Triplekonzert) und Vladimir Jurowski (Violinkonzert) nähern sich dem Schaffen des Italieners mit persönlicher Anteilnahme und einem wachen Verständnis für den damaligen Zeitgeist ohne komplizierte Neutönerei. Diese Casella-Stücke haben etwas von einer Zeitlosigkeit. Was jedoch die innere Uhr und die thematische Verarbeitung nicht in ein kompositorisches Defizit rutschen lässt. Im Gegenteil: Man möchte gern weitere Casella-Originale erleben – auf dem Konzertpodium oder als CD-Einspielung.
Jörg Loskill