Rózycki, Ludomir

Violin Concerto op. 70/Works for Violin and Piano

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Acte Préalable APO219
erschienen in: das Orchester 01/2013 , Seite 72

> Man kennt wenig von der Musik des polnischen Komponisten Ludomir Rózycki. Aus der Gruppe „Junges Polen“, die sich am Beginn des vorigen Jahrhunderts um eine moderne nationale Tonkunst bemühte, sind am ehesten Szymanowski und Karlowicz populär geblieben. Rózycki aber, Fitelberg und gar Szeluta werden heutzutage kaum noch wahrgenommen. Das CD-Angebot bleibt minimal, im Repertoire fällt Rózycki auch keine Favoritenrolle zu, und so wird diese Platte mit den Ersteinspielungen seiner Violinwerke zu einer außerordentlichen Entdeckung und erlebnisreichen Begegnung.
Vorgestellt wird der Komponist, der am 18. September 1883 in Warschau geboren wurde, dort das Konservatorium besuchte, bei Zygmunt Noskowski und an der Königlichen Musikakademie in Berlin bei Engelbert Humperdinck Komposition studierte, später in Lemberg und Warschau lehrte und am 1. Januar 1953 in Kattowitz starb, vor allem als traditionsbewusster, der Folklore verpflichteter Tonschöpfer – ein sensibler Lyriker und begnadeter Melodiker, ein feiner Klangmaler und anspruchsvoller Virtuose. Wie sehr er mit seinen sinfonischen Dichtungen in die Nähe von Strauss und des französischen Impressionismus gelangt ist (Anhelli, 1909) und als welch großartiger Musikdramatiker er sich in seinen Opern erwies, bleibt da eher unterbelichtet.
Allenfalls von seinem in Polen als epochal geltenden und auch international bekannten Ballett Pan Twardowski (1921) gewinnt man einen Eindruck: Vier Transkriptionen für Violine und Klavier, die sich die Geigerin Ewelina Nowicka vornahm, lassen stimmungsreich die fantastischen Erscheinungen und national gefärbten Tanzbilder dieser polnischen Faust-Sage anklingen. Die Zwei Melodien op. 5 und die Zwei Nocturnes op. 30 für Violine und Klavier berühren durch kantablen Zauber und reizvolle Ausdruckskontraste; sie bestechen auch mit ihrem virtuosen Schliff und formalen Beziehungsreichtum.
Und was die kleinen Kostbarkeiten aus dem Jahr 1904 en miniature zeigen, das präsentiert – als großartiger Auftakt dieser CD – das gleichfalls zweisätzige Violinkonzert op. 70. Rózycki hat es 1944 in der Nähe von Krakau komponiert, wo er nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands Unterschlupf fand. Das hochexpressive Stück, das die lyrischen Reflexionen des Andante und den bravourösen Elan des Allegro deciso wirkungsvoll miteinander ausbalanciert, existierte jedoch lediglich in einer Klavierversion. Die Orchesterfassung stammt von Zygmunt Rychert, der sich nun auch am Pult nachdrücklich als ein kompetenter Anwalt der Musik Rózyckis vorstellt. Und so schaffen der Dirigent und die faszinierende Solistin Ewelina Nowicka mit ihrem innig-warmen Ton und ihrer glanzvollen Brillanz, das exzellente Rundfunk-Sinfonieorchester Kattowitz und die beiden Pianisten Pola Lazar und Michael Krezlewski Interpretationen, die höchst engagiert und überzeugend wirken. Sie erwecken zudem den Wunsch, mehr von diesem polnischen Komponisten zu hören.
Eberhard Kneipel