Scott, Cyril

Violin Concerto for Violin and Orchestra

Klavierauszug mit Solostimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2007
erschienen in: das Orchester 10/2007 , Seite 77

Ein ausgesprochenes Multitalent ist er gewesen, der 1879 in Birkenhead geborene und 1970 in Eastbourne gestorbene Engländer Cyril Scott. Er komponierte, veröffentlichte Gedichtbände, schrieb eine viel beachtete Autobiografie, befasste sich mit Philosophie, Mystik, Okkultismus. Ein ausgesprochener Paradiesvogel also. Scott hat im Laufe seines langen Lebens die gesamte musikalische Entwicklung von Wagner bis Stockhausen miterlebt und manches davon auch aktiv mitgestaltet. Um die Wende zum 20. Jahrhundert galt er als Pionier, als Protagonist musikalischen Fortschritts. Bereits in jungen Jahren war er mit seinen Kompositionen sehr erfolgreich. Hans Richter, Henry Wood, Sir Thomas Beecham, Leopold Stokowski dirigierten seine Orchesterwerke, Fritz Kreisler, Benno Moiseiwitsch, Jascha Heifetz, Efrem Zimbalist und viele andere spielten seine Musik und nahmen sie auf. Heute scheinen Scott und seine Kompositionen ein wenig aus dem Blickfeld entschwunden, zumindest außerhalb seines Heimatlandes; selten begegnet uns eines seiner Werke im Konzertsaal.
Musikalisch gesehen ist Scott kaum einzuordnen, hat er sich doch auf vielen Feldern und in mancher Stilrichtung versucht. Er schreibt in den frühen Jah-
ren postwagnerianisch-spätromantisch, wenig später unter hörbarem Einfluss der französischen Impressionisten, dann wieder im amerikanisierten Stil früher Broadway-Revues durchaus hart an der Kitschgrenze, um an anderer Stelle Randbereiche zur Atonalität auszutesten.
Das vorliegende Konzert für Violine und Orchester stammt aus dem Jahr 1927. Formal scheint es an das 1919 geschriebene Konzert seines Landsmannes Frederick Delius anzuknüpfen, mit dem es auch der rhapsodisch-improvisatorische Grundcharakter verbindet. Es handelt sich um einen einzigen Satz von ca. 30 Minuten Länge, gegliedert in mehrere schnellere und langsamere Abschnitte. Verschiedene Themenkomplexe werden vorgestellt, entwickelt und kehren wieder. Scott offenbart eine ausgesprochene Vorliebe für das Aneinanderfügen mehrfach alterierter Akkorde, oft in chromatischen Sequenzen, für Quartenakkorde und -intervallfolgen. Über dieser gleichsam ein schweres und betörendes Parfüm verströmenden, wohlklingenden Musik scheint eine an Skrjabin gemahnende Atmosphäre der Überhitzung zu liegen. Die exponierten Klangwelten sind von großer Farbigkeit, andererseits nicht ganz unbelastet. In den Folgejahren bediente sich Hollywoods Filmindustrie ihrer, wofür weder Skrjabin noch Debussy, Delius oder Scott etwas konnten. Mit wachsendem zeitlichen Abstand sind wir eher in der Lage, die genuinen Qualitäten dieser Musik zu würdigen.
Scotts wirkungsvolles Violinkonzert hat einen weiteren unschätzbaren Vorteil: Es ist geigerisch gesehen nicht sehr schwer, „liegt“ gut, spielt sich, wie man so schön sagt, „wie Butter“. Die vorliegende Notenausgabe ist in jeder Hinsicht untadelig.
Herwig Zack