Wigglesworth, Ryan

Violin Concerto

Violin Concerto, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2016
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 61

Voilà, ein weiterer Dirigent, der als Komponist von sich reden macht! Oder ist es vielleicht eher umgekehrt? Eine Frage, die Ryan Wigglesworth wohl selbst nicht zu beantworten vermag. Der 1979 in Yorkshire geborene Brite erhielt seine Ausbildung als Komponist, Dirigent und Pianist am New College in Oxford und an der Guildhall School of Music & Drama in London. Von 2007 bis 2009 war er als Dozent an der Cambridge University und als Fellow des Corpus Christi College tätig, von 2013 bis 2015 „Daniel R. Lewis Young Composer Fellow“ beim Cleveland Orchestra, für das er Études-Tableaux komponierte.
Schnell hat sich Wigglesworth als einer der führenden Komponisten-Dirigenten seiner Generation etabliert. Kürzlich wurde er zum Principal Guest Conductor des Hallé Orchestra berufen. Er arbeitet regelmäßig mit dem BBC Symphony Orchestra zusammen, mit dem er auch eine ganze Reihe seiner eigenen Werke uraufführte, so etwa Ster­nen­fall, Augenlieder oder Locke’s Theatre, dirigiert sämtliche bedeutenden britischen Orchester, darunter das London Symphony Orchestra und das Philharmonia Orchestra und zunehmend auch Orchester in den USA und Deutschland, so das Deutsche Symphonie-Orchester Ber­lin. Mit besonderer Hingabe widmet er sich auch als Interpret der zeitgenössischen Musik und hat über vier­zig Uraufführungen von Werken namhafter Komponistenkollegen ge­leitet, darunter Harrison Birtwistle, Elliott Carter und Oliver Knussen. Er ist außerdem Artist in Residence an der English National Opera, für die er im Augenblick seine neue Oper The Winter’s Tale schreibt.
Nun ist die Studienpartitur seines Violinkonzerts erschienen. Geschrieben hat er es 2011 und 2013 einer gründlichen Revision unterzogen. „In meinem Violinkonzert findet das Soloinstrument auf der Suche nach seinem lyrischen Klangideal erst nach und nach seine volle gesangliche Stimme und seine dominante Rolle. Zwei Elemente prägen die Dramaturgie des Werks: Zuerst wird das einfache melodische Material rekapituliert, mit dem die Solovioline beginnt, sodann sucht die Musik nach einem Ruhepunkt, der erst gegen Ende des Stücks gefunden wird.“
Im Großen und Ganzen folgt das ca. 16-minütige Konzert dem klassischen Formschema Schnell – Langsam – Schnell, alle drei Sätze gehen attacca ineinander über. Dem Allegro movendo vorangestellt ist eine langsame Einleitung, deren thematisches Material als Epilog wiederkehrt. Wigglesworth hat hier ein Stück quasi post-expressionistischer Ausdrucksmusik voller sinnlich direkt erfahrbarer Klangschönheit geschaffen. Vieles klingt wie ei­ne Hommage an Alban Berg, eigent­lich der expressiven Spielweise eines Barnabás Kelemen, der die Uraufführung der revidierten Version spielte, so recht „auf den Leib geschrieben“ – wüsste man nicht, dass es Gordan Nikolitsch war, der die Erstfassung seinerzeit aus der Taufe hob. Natürlich ist der Solopart anspruchsvoll gehalten, offenbart aber Wigglesworths große Kenntnis der geigerischen Möglichkeiten und sein instinktives Gespür für die Klanglichkeit des Instruments. Der Orchesterpart ist fein und außerordentlich farbig instrumentiert. Fazit: interessant und lohnend!
Herwig Zack