Viola mon amour

Werke von Paul Hindemith, Houtaf M. Khoury, Herbert Blendinger, Claude Debussy und Dmitri Schostakowitsch

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Arpeggio brioso ARP 0521
erschienen in: das Orchester 10/2005 , Seite 87

Was soll man von einer CD halten, die sich etwas halbseiden Viola mon amour nennt (und auch in entsprechend geschmackvoll-bunter Aufmachung daherkommt), dann aber Werke präsentiert, die entweder Tonschönheit zur Nebensache erklären oder von Abschied und Todesengeln, mindestens aber von den „Schwierigkeiten des Lebens in unserer Zeit“ künden? Verpackung und Inhalt klaffen hier weit auseinander – selbst wenn man annimmt, der Schweizer Bratscher Jacques Mayencourt habe sein Programm mit besonderer Liebe zum Instrument ausgewählt.
Mit Hindemiths Solosonate op. 25 Nr. 1 und Schostakowitschs Sonate op. 147 wagt sich Mayencourt (laut Booklet immerhin „einer der wichtigsten Bratscher unserer Zeit“) jedenfalls gleich an zwei zentrale „Brocken“ der Viola-Literatur – und tut sich damit angesichts zahlreicher hochkarätiger Konkurrenzaufnahmen nicht unbedingt einen Gefallen. Denn trotz profunder Technik, bemerkenswerter klanglicher Ressourcen und einem erstklassigen Instrument befindet sich Mayencourt mit den Ansprüchen der Werke nicht immer ganz auf Augenhöhe. Zwar gelingen ihm in der Hindemith-Sonate vor allem in den Ecksätzen durchaus packende Momente, doch fehlt es ihm letzten Endes an Mut zum Extremen, um wirklich überzeugen zu können: Während der dritte Satz („Sehr langsam“) z.B. ein vergleichsweise zügiges Tempo aufweist, ist das berüchtigte Staccato-Gewitter des vierten Satzes weder in einem „rasenden Zeitmaߓ noch besonders „wild“ zu hören – man spürt weniger den Provokateur Hindemith als die Grenzen des technisch Machbaren.
Eine ähnliche Problematik prägt auch die Schostakowitsch-Sonate: Die innere Entwicklung des Stücks droht über weite Strecken in einer Art Einheitstempo ohne ausgesprochene Kontraste unterzugehen. Mayencourt und seine Begleiterin Erika Kilcher benötigen beispielsweise allein für die ersten beiden Sätze volle drei Minuten mehr als Schostakowitschs Adressat Fjodor Drushinin. Vor allem das Allegretto wirkt dadurch wie ein Sicherheitsdurchlauf, eher behäbig als grotesk. Danach vermag sich die Abgründigkeit des abschließenden Adagios nur noch schwer einzustellen.
Immerhin finden sich zwischen den Klassikern (neben einer reichlich kitschigen Version von Debussys Beau soir) noch zwei Werke weithin unbekannter Zeitgenossen, denen Mayencourt und Kilcher ebenso engagiert wie adäquat zu Erstaufnahmen verhelfen: Die Suite für Viola solo aus dem Jahr 1982 von Herbert Blendinger ist eine handwerklich grundsolide, formal traditionelle Folge von tonalen Stilisierungen barocker Tanzsätze. MetamorFrozen des jungen Libanesen Houtaf M. Khoury (Jahrgang 1966) bietet ebenfalls nur wenig Überraschendes: Ausgreifende Espressivo-Linien, klagende Lamento-Figuren und insistierende Akkordfolgen bilden eine Variationsreihe von (allzu) pathetischem Grundton.
Das Booklet weist die Aufnahme als Live-Mitschnitt eines Konzerts aus. Tatsächlich teilt sich der lebendige und unmittelbare Charakter der Aufführung vorteilhaft mit, auch wenn dadurch unweigerlich einige klangliche und intonatorische Unschärfen stehen geblieben sind. Der Tontechnik gelingt in den Solo-Werken eine wohltuend ausgewogene Natürlichkeit, während die Viola bei Klavierbegleitung bisweilen vom (seltsam blutarmen) Flügelklang ein wenig in den Hintergrund gedrängt wird.
Joachim Schwarz