Schultz, Ingo

Viktor Ullmann

Leben und Werk

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/Stuttgart 2008
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 62

Viktor Ullmann gehörte zu dem Kreis Prager Musiker, die im Konzentrationslager Theresienstadt interniert und dort für „Freizeitgestaltung“ zuständig waren. Mit ungeheurem Lebensmut schufen sie unter erbärmlichsten Bedingungen einige ihrer besten Werke, ehe sie noch im Herbst 1944 nach Auschwitz in den Tod geschickt wurden. Ullmann wurde nur 46 Jahre alt.
In seiner umfangreichen Biografie erschließt Ingo Schultz (über den sich in dem Band keinerlei Hinweis findet) eine Vielzahl von Quellen. Mit geradezu besessener Akribie hat er jedes mögliche Detail von Ullmanns Leben aufgespürt, hat Kritiken gesammelt, Zeugnisse von Freunden, Berichte von Mithäftlingen und Ullmanns eigene Publikationen ausgewertet, Akten durchforstet und immer wieder unerwartete Hilfe bekommen, so von einem Priester, der ihm die Geburtsurkunde und wichtige Eintragungen im Kirchenbuch von Ullmanns Geburtsstadt zugänglich gemacht hat.
Geboren wurde Viktor Ullmann 1898 in der schlesischen Garnisonsstadt Teschen, siedelte aber schon bald nach Wien über, wo er das erste „Skandalkonzert“ bei einer Aufführung von Schönbergs Kammersymphonie erlebte. Später nahm er an dessen Seminaren teil, und es ist kein Wunder, dass sein wichtigstes Orchesterwerk Variationen über ein kurzes Klavierstück seines verehrten Mentors sind.
Im Ersten Weltkrieg Soldat, fing er danach bescheiden als Chorleiter und Korrepetitor am Deutschen Theater in Prag an, wurde kurzzeitig Opernchef in Aussig, hatte ein zweijähriges Engagement als Leiter der Bühnenmusik am Schauspielhaus in Zürich; kurz: Er durchlief die „Ochsentour“ eines jungen Kapellmeisters jener Zeit. Sein eigentliches Interesse aber galt der Komposition. Und so entstanden in den 20er und 30er Jahren eine Vielzahl von Werken, durchweg positiv von der Presse beurteilt. International bekannt wurde Ullmann, als seine Schönberg-Variationen beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik 1929 in Genf aufgeführt wurden.
1942 nach Theresienstadt deportiert, blieb Ullmann noch eine Galgenfrist von zwei Jahren, in der er unter anderem die Oper Der Kaiser von Atlantis komponierte, die sein bekanntestes Werk werden sollte, aber erst 1975 in Amsterdam uraufgeführt und an vielen Theatern nachgespielt wurde. Ahnungsvoll hatte Ullmann kurz vor dem Abtransport nach Auschwitz alle Partituren dem Theresienstädter Bibliothekar übergeben, der überlebte und sie rettete, und noch in Prag ein vollständiges Werkverzeichnis seiner früher entstandenen, aber heute verschollenen Kompositionen nach England geschickt, wo es in einer Londoner Bibliothek wieder auftauchte.
Gründliche Analysen der zugänglichen Werke, ein Verzeichnis auch der verlorenen Kompositionen und verschiedenen Register ergänzen diese wichtige, hervorragend recherchierte und hoch informative Biografie. Ullmanns Musik ist heute auf Tonträgern gut dokumentiert. Kürzlich ist sogar eine Studienpartitur seines einzigen überlieferten Orchesterwerks, der Schönberg-Variationen op. 5 erschienen. Man lernt einen hochbegabten Komponisten kennen, von dem noch viel zu erwarten gewesen wäre.
Ursula Klein