Strauss, Richard

Vier letzte Lieder/Orchesterlieder

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berlin Classics 0017812BC
erschienen in: das Orchester 10/2006 , Seite 94

Auf der Konzertbühne und als Mitglied der Deutschen Oper Berlin hat die junge Sopranistin Michaela Kaune das Standardrepertoire von Mozart bis Weber und Bizet bis Janácek zwar ausgiebig durchforstet. In ihren Aufnahmen jedoch suchte sie bislang eher das Ungewöhnliche: Lieder von Hanns Eisler, gleich mehrere Werke von Hans Werner Henze, eine Oper von Hans Pfitzner und dazu einige Einspielungen im Solistenensemble.
Dass die gebürtige Hamburgerin sich nun an Orchesterlieder von Richard Strauss und gar die Vier letzten Lieder gewagt hat, den vermeintlichen Schwanengesang des Meisters, dem man in seiner wehmütigen Melancholie so gar nicht anhört, dass Strauss während der Werkentstehung 1948 bei gutem Essen in der Schweiz wohnte und an Langeweile litt: Diese Wahl ist ein bewusst gesetzter Paukenschlag. Denn Michaela Kaune kann bestehen trotz größter Vorbilder, die sich allein der Vier letzten Lieder bereits angenommen haben: Jessye Norman, Barbara Hendricks, Renée Fleming, Elisabeth Schwarzkopf und viele mehr.
Herausragendes Merkmal von Kaunes Stimme ist die Ausgewogenheit, eine satte Tiefe und eine stets leuchtende, fast nie angestrengte Höhe, eine warme Mittellage. Wie sie gleich im ersten Lied einsteigt, den Traum durch die Dämmerung beschwört, das ist schönster Klang, reiner Samt – eine musikalische Wohlfühltherapie.
Im Verlauf der Einspielung stößt man auf Szenen des häuslichen Glücks (Wiegenlied nach Richard Dehmel, Meinem Kinde nach Gustav Falke), der Liebe (Cäcilie nach Heinrich Hart) und der Natur (Waldseligkeit nach Dehmel), auch auf Pathos (Gesang der Apollopriesterinnen nach Emanuel von Bodman) und schließlich Todesnähe (Vier letzte Lieder nach Hesse und Eichendorff). Das ist die von den Abgründen einer Elektra oder Salome weit entfernte Welt des Lyrikers Strauss, die Kaune mit herrlicher Süße (mit Verlaub: bisweilen fast operettenhaft) besingt und – trotz großer Steigerungen und Wallungen – kaum verlässt. Ihre Bögen bleiben weit und rund, ohne Ecken, ohne Kanten. Die von Eiji Oue souverän geleitete NDR-Radiophilharmonie passt sich ihrem Stil gerne an. Muss man sich mehr wünschen?
Man muss nicht, aber man kann – wenn einem nach mehrmaligem Hören dieser CD die Fülle des Wohlklangs allmählich die Sinne vernebelt. In diesem Fall sollte man zu einer ganz anderen, einer alten Strauss-Aufnahme aus dem Jahr 1963 greifen – und die glasklare, kristallreine Lesart von Lisa della Casa genießen.
Johannes Killyen