Bach, Johann Sebastian

Variazioni Goldberg

Rubrik: CDs
Verlag/Label: MV Cremona MCV 005-012
erschienen in: das Orchester 11/2007 , Seite 88

Die Bearbeitung bestehender Kompositionen für unterschiedliche Besetzungen ist bekanntermaßen ein gängiges Verfahren in der musikalischen Praxis der Barockzeit. Auch Johann Sebastian Bach hat – wie wir wissen und aus der Einsicht in die Ästhetik der Zeit längst nicht mehr übel vermerken – nicht nur vorhandene Vokalwerke bei Bedarf mit einem anderen Text versehen, sondern immer wieder auch eigene oder fremde Instrumentalwerke für verschiedenartige Besetzungen umgearbeitet. In diesem Sinn ist es gewiss nicht verwerflich, wenn Musiker der Gegenwart es den barocken Meistern gleichtun und den Werken der damaligen Zeit ein anderes instrumentales Gewand anlegen. Erst recht, wenn das nicht für unbarocke Instrumente oder Ensemblebesetzungen bzw. zum Zweck virtuoser Selbstdarstellung geschieht, sondern in unmittelbarer Anlehnung an die damalige Praxis – und wenn es gleichsam analytisch der Erhellung unbekannter und unerkannter Facetten eines bekannten Werks dienen soll.
Zum Bach-Jahr 2000 hatte das auf alten Instrumenten spielende Ensemble Parnassi Musici, das in der Hauptsache aus Mitgliedern der Gruppe der zweiten Geigen des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg besteht, eine Kammermusik-Version der „Goldberg-Variationen“ von Bach erarbeitet, die auch auf CD vorliegt.
Im Unterschied zur 1985 entstandenen Streichtrio-Version des russischen Geigers Dmitri Sitkovetsky haben Parnassi Musici – Gunhild Ott (Traversflöte), Margaret MacDuffie und Matthias Fischer (Violine), Wolfgang Wahl (Viola), Stephan Schrader (Violoncello), France Beaudry-Wichmann (Viola da Gamba und Violone), Hubert Hoffmann (Laute) und Helene Lerch (Clavicembalo und Orgel) – ihre Fassung auf spezifisch barocke Kammermusikbesetzungen ausgerichtet. Sie haben für die Aria und deren dreißig Veränderungen in ihrer im musikalischen Zusammenspiel sozusagen experimentell entstandenen Version jeweils eigene, dem Charakter der Musik angemessene und im Sinn der Barockzeit authentische instrumentale Lösungen gesucht – und gefunden. Das Hören der CD bestätigt dies.
Natürlich sind die „Goldberg-Variationen“ ein genuines Stück für Tasteninstrumente mit vielen Teilen, die sehr klavierspezifisch sind. Doch nicht nur in den Kanons und anderen polyfonen Partien erscheint die kammermusikalische Besetzung, die vom Violinduo bis zu quasi orchestraler Fülle reicht, ausgesprochen passend.
Die „Goldberg-Variationen“ von Parnassi Musici bieten das Werk in einer ebenso spannenden wie schlüssigen Gestalt. Sie erweckt in vielen Variationen geradezu den Anschein, als sei die Musik just für eine solche Besetzung gedacht gewesen. Dadurch aber wird die Universalität der Bach’schen Musik offenbar, die ihre Substanz in unterschiedlicher Klanggestalt unbedingt bewahrt und bei der auch die Tastenwerke klanglich über sich hinausweisen.
Am Ende erklingt die Wiederholung der Aria in der originalen Version auf dem Cembalo. Das mutet wie die Rückkehr zu Bach an. Doch in ihrer übrigens sehr feinsinnig und beredt musizierten Version der „Goldberg-Variationen“ waren ihm Parnissi Musici immer ganz nahe.
Karl Georg Berg