Ullmann, Viktor
Variationen und Doppelfuge
über ein Thema von Arnold Schönberg op. 19/4, Fassung für Streichquartett op. 3c, Partitur und Stimmen
Viktor Ullmann (1898-1944) gehört zu jenen Komponisten, die während des III. Reichs nicht nur physisch vernichtet wurden, sondern deren Schaffen mit erschreckender Gründlichkeit und Nachhaltigkeit auch aus dem Gedächtnis und dem Musikleben verbannt wurde. Erst Ende des 20. Jahrhunderts (gerade noch rechtzeitig, um den einen oder anderen Zeitzeugen befragen zu können) war das Interesse groß genug für eine wirkliche Aufarbeitung eine Aufarbeitung, die freilich niemals die historische Schuld begleichen kann, die aber Werke ans Licht befördert, die aufgrund ihrer Qualität heute im Repertoire einen bleibenden Platz beanspruchen dürfen.
In besonderer Weise gilt das für den einst in Prag beheimateten Ullmann. Vor allem dank einiger mutiger Inszenierungen und Einspielungen verbindet man heute mit seinem Namen vor allem die im KZ Theresienstadt entstandene Oper Der Kaiser von Atlantis; doch muss auch sein ebenfalls 1943 niedergeschriebenes Streichquartett op. 46 zu den bedeutendsten Werken dieser Gattung im 20. Jahrhundert gerechnet werden (Partitur und Stimmen sind vor einigen Jahren bei Schott erstmals gedruckt worden).
Dass die schwierige Spurensuche aber noch immer nicht abgeschlossen ist (ein Großteil der Kompositionen wird unwiederbringlich verloren sein, anderes hat sich eher zufällig in Abschriften erhalten), belegt die nun vorliegende Ausgabe Ullmanns eigener Bearbeitung seiner Variationen und Doppelfuge über ein Thema von Arnold Schönberg op. 3c für Streichquartett. Die Rudolf Kolisch und seinem Streichquartett übersandte autografe Partitur (gemeinsam mit einem autografen Stimmensatz) fand sich erst vor wenigen Jahren unvermutet in der Houghton Library der Harvard University. Offenbar steht die Bearbeitung in unmittelbarem Zusammenhang mit Ullmanns (späten und vergeblichen) Auswanderungsbemühungen (1939) und dies nicht ohne Zufall, denn mit der Aufführung der ursprünglich für Klavier gesetzten Variationen beim Musikfest in Genf 1929 kam der Durchbruch und die überregionale Anerkennung (drei verschiedene Versionen für Klavier lassen sich nachweisen, außerdem hat sich ein Stimmensatz der Orchesterbearbeitung erhalten).
Obwohl Ullmann 1918/19 für einige Monate in Wien bei Schönberg alle Facetten des Handwerks studierte und zu jener Zeit zum inneren Kreis der Schüler zählte, entfernte er sich während der 20er Jahre dann doch von den Idealen seines Lehrers. Insofern gibt schon die Wahl eines Schönbergschen Aphorismus (nämlich das Klavierstück op. 19/4) als Thema für weiterentwickelnde Variationen genug Aufschluss über das kompositorische Selbstwertgefühl. Und die (im Gegensatz zum Orchester) neutrale Klangfarbe des Streichquartetts verstärkt noch diesen Eindruck meisterlicher Technik und Erfindung.
Die Ausgabe ist klar und übersichtlich gesetzt; lediglich einigen Bögen sieht man es an, dass sie den Grundeinstellungen eines Computerprogramms entstammen.
Michael Kube