Edward Naylor

Variationen

für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, hg. von Chris und Frances Nex, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Accolade
erschienen in: das Orchester 05/2018 , Seite 67

Der englische Komponist und Organist Edward Woodall Naylor (1867-1937) ist heute nur wenigen bekannt. Neben einer Oper und einigen kirchenmusikalischen Werken verfasste er drei Bläserquartette und das vorliegende Quintett in Form von acht kurzen Variationen mit Einleitung und Coda. Der Komponist selbst wirkte am Klavier bei der Uraufführung im Jahr 1900 im Cambridge Musical Club mit. Seine bisher unveröffentlichte Kammermusik wird im Emmanuel College in Cambridge aufbewahrt, wo Naylor als Organist und Dozent für Orgel tätig war.
Diese Erstausgabe des Accolade-Musikverlags bereichert sicherlich das eher spärliche Repertoire der Bläserquartett-Besetzung mit Klavier, zumal alles in den Variationen gut spielbar ist. Die Partitur umfasst insgesamt 14 bedruckte Seiten, die Bläserstimmen jeweils zwei.
Nach einer kurzen Introduktion erklingt das schlicht gestaltete, etwas hymnisch wirkende Thema in B-Dur vigoroso ma non troppo allegro erstmalig im Horn gemeinsam mit den Akkorden des Klaviers. In der ersten Variation übernimmt das Fagott die Hautmelodie, umspielt von kontrapunktisch geführten Stimmen des Klavier-Diskants, der Oboe und der Klarinette. Später spielt das Fagott häufiger in der Bariton-Lage, unterlegt von manchmal oktavierten Klavierbässen, alles mit guter melodischer Stimmführung gestaltet.
Edward Naylor figuriert die Variationen nicht, sondern verändert allmählich deren Charakter. Nach den ruhig schwingenden Vierteltriolen der Tranquillo-Variation führt das Klavier bei più animato in rhythmisch bewegte Akkorde alla tromba, die bis dahin eher moderate romantische Tonsprache wird harmonisch dichter durch Chromatik, alterierte Akkorde und Tonartenwechsel. Die siebte sehr ausdrucksvolle Charaktervariation ist in g-Moll und legatissimo meno animato vorzutragen. Im gleichnamigen G-Dur endet das Werk con anima mit pochenden triolischen Akkorden, die sich mehr und mehr steigern, nach einer harmonisch reichen und spannenden Coda, im glanzvollen Fortissimo.
Manches in dieser Kammermusik ist sinfonisch gedacht und so verwundert es nicht, dass der Komponist selber eine Fassung für Orchester angefertigt hat, die 1907 in Bournemouth aufgeführt wurde.
Für versierte Laien-Instrumentalisten sind Naylors Variationen mangels größerer Virtuosität genauso gut zu spielen wie für erfahrene Profis. Im Klavierpart gibt es hin und wieder große Griffspannen, die von kleineren Händen arpeggiert werden müssen. Der Klangfarbenreichtum dieser Besetzung und das gute kompositorische Handwerk, besonders was die kontrapunktische Arbeit und die Kenntnis der idealen Klanglagen der einzelnen Instrumente anbelangt, wird sicher manchen motivieren, dieses Kammermusikwerk zu studieren und aufzuführen. Der Notendruck ist übersichtlich und gut lesbar. Die Partitur dient als Klavierstimme, ihr sind die Bläserstimmen beigelegt.
Christoph J. Keller