Dobner, Walter

Unser Haydn

Große Interpreten im Gespräch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Wien/Weimar 2008
erschienen in: das Orchester 04/2009 , Seite 58

Auch 200 Jahre nach dem Tod Joseph Haydns werde dessen Rezeption durch Klischees bestimmt, heißt es im Klappentext der neuen Publikation des Wiener Musikschriftstellers Walter Dobner. Aus diesem Grund führte er mit 17 Musikerpersönlichkeiten wie Nikolaus Harnoncourt, Pierre Boulez, Leif Ove Andsness, Thomas Quasthoff, Heinrich Schiff – um einige zu nennen – Gespräche, um Aspekte der Rezeption und der Besonderheiten der Musik Haydns aus heutiger Interpretensicht zu eruieren.
Allerdings muss man voranschicken, dass die Zahl der aufgeführten Haydn-Werke, wie der bedeutende Haydn-Forscher Georg Feder schrieb, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beträchtlich zugenommen hat, und dass zumindest die Oratorien, Streichquartette und Sinfonien dem heutigen Standard-Konzertrepertoire angehören. Zwar wird rein zahlenmäßig mehr Mozart und Beethoven aufgeführt, aber im Vergleich zu vielen anderen Komponisten ist die Präsenz der Haydn’schen Kompositionen im Musikleben der Gegenwart nicht gering zu schätzen.
Die Gespräche werden nicht in Form eines Interviews, sondern nach einem standardisierten Muster wiedergegeben: Nach einem einleitenden Absatz in Form der wörtlichen Rede folgt eine Kurzbiografie des jeweiligen Interviewpartners. Danach liest man Antworten auf immer dieselben Fragestellungen, beispielsweise warum Haydns Werke häufig an den Anfang eines Konzertprogramms platziert werden, warum sich Robert Schumann negativ über Haydn geäußert habe, was die Besonderheit der Haydn’schen Musik ausmache und ob die Musikgeschichte ohne Haydn anders verlaufen wäre. Jedes Gespräch endet schließlich mit der Frage, was man von Dietmar Hollands These halte, Haydn hätte „das Denken statt Dichten in Tönen“ erfunden.
Die Antworten der verschiedenen Persönlichkeiten sind trotz gradueller Unterschiede im Großen und Ganzen recht einheitlich. So ähneln beispielsweise die Antworten, Haydns Musik sei durch „seinen Witz“ (Roger Norrington) und sein „Spielen mit Formen“ (Markus Hinterhäuser) gekennzeichnet; oder „ohne Haydn hätte Beethoven sicher eine andere Entwicklung genommen“ (Riccardo Muti). Auch die These Dietmar Hollands findet mit Ausnahme von Christian Tetzlaff keine Zustimmung.
Der standardisierte Fragenkatalog stellt zusammen mit den lediglich variierenden Antworten ein Problem dar: Wirkliche Gespräche finden nicht statt und kritische Worte über Haydn, an denen man sich hätte reiben können, sucht man vergeblich. Zwar ist die journalistische Aufbereitung der Interviews professionell, aber im Gesamtklang einer Publikation ermüden die Gesprächsprotokolle. Vermutlich hätten diese – einzeln in einer Zeitung abgedruckt – ein größeres Interesse wecken können; hintereinander in Buchform bergen sie jedoch keine wirklichen Erkenntnisse der gegenwärtigen Haydn-Rezeption. Zwar wird im erwähnten Klappentext behauptet, der Leser entdecke ein ganz anderes und aufregendes Haydn-Bild. Nach der Lektüre aller Gespräche hintereinander hat man jedoch nicht den Eindruck, ein wirklich aufregendes Buch gelesen zu haben.
Klemens Fiebach

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