Ives, Charles
Universe Symphony / Second Symphony
Obwohl das Schaffen von Charles Ives auch in der öffentlichen Wahrnehmung in den vergangenen Jahrzehnten langsam die ihm zustehende Beachtung gefunden hat, so sind doch weite Teile seines uvres weder im Konzertleben noch im Tonträgermarkt in der ihm gebührenden Form präsent.
Dies trifft bei einer Komposition wie der Universe Symphony besonders zu, bei der man nicht von einem geschlossenen Werkcharakter sprechen kann. Ives arbeitete von 1911 bis zu seinem Tod 1951 mit großen Unterbrechungen an der Universe Symphony, die als seine Fünfte gezählt werden könnte. So wurde das Prelude sowie die drei Sätze Past. Formation of the water, Present: Earth, Evolution in Nature and Humanity und Future. Heaven, the Rise of all to the Spiritual von Ives geplant und in sehr unterschiedlicher Form realisiert. Angeregt durch die von Ives überlieferte Aufforderung, für den Fall, dass ich nicht in der Lage sein sollte, das zu vollenden, könnte irgendjemand anderer versuchen, die Idee auszuführen, hat sich der amerikanische Komponist Larry Austin des Konvoluts von Skizzen, Fragmenten, Erläuterungen und grafischen Darstellungen zur Form der Universe Symphony von 1974 bis 1983 angenommen und eine aufführfähige Partitur geschaffen, die am 28. Januar 1984 uraufgeführt wurde. Inwieweit die Universe Symphony als Werk von Ives angesehen werden kann, ist aber sicher noch fraglicher als bei den unterschiedlichen Rekonstruktionsversuchen von Mahlers zehnter Sinfonie, die sich auf einen umfangreicheren Bestand von Noten Mahlers stützen können, als dies bei Ives Werk der Fall ist.
Als zweite Einspielung über-haupt ist nun bei col legno die
des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken unter der Leitung von Michael Stern erschienen. Der Livemitschnitt der deutschen Erstaufführung der Universe Symphony macht indes die Grenzen einer stereofonen Einspielung deutlich. Denn die Verwendung unterschiedlicher Orchester-Besetzungen, die von den Mit-Dirigenten Larry Austin,
Johannes Kalitzke, Michael Schmidtsdorff und Christian Voß geleitet wurden, hätte ein Aufnahmeverfahren nötig gemacht, das die räumlichen Bedingungen besser abbildet, als es hier möglich ist. Am überzeugendsten geriet dies noch im einleitenden Prelude: Es wird von sich polyrhythmisch überlagernden Schlagwerkgruppen bestimmt, die über die Hälfte der gesamten Aufführungszeit beanspruchen. Trotz der beachtenswerten Orchesterleistung wirken die weiteren Sätze im Verhältnis zum Prelude schlichtweg zu kurz, was sicher auch auf der problematischen Materiallage der Ivesschen Skizzen beruht.
Sehr überzeugend hingegen gerät die Einspielung der zweiten Symphonie von Ives unter Stern und seinem Saarbrücker Orchester. Der amerikanische Dirigent ist sich der Verwurzelung Ives in traditioneller amerikanischer Kirchen- und Volksmusik bewusst, die er dank seines eigenständigen Komponierens zu einer ganz neu klingenden Musik einschmolz. Mit großer Präsenz und viel Gefühl für die Linienführung setzen sich die Saarbrücker, die hier ihr hohes Orchesterniveau ausspielen können, für das Werk ein. Eine CD mit insgesamt hohem Informationswert, was auch für das Booklet gilt.
Walter Schneckenburger