Pegelhoff, Ralf
Und in dem “Wie”, da liegt der ganze Unterschied
Was macht eine Führungskraft zu einer guten Führungskraft?
Führen ist wie Dirigieren hoch differenzierte, mit allen Sinnen wahrgenommene und geleistete Kommunikation. (1) Aus dem Erlebnis einer gelungenen Konzertaufführung und der Übertragung dieser Parameter auf die Führung eines Unternehmens entwickeln Justus Frantz und Jens U. Sievertsen das interessante und lesenswerte Buch Virtuos Führen zur Optimierung von innerbetrieblichen Organisationsstrukturen. Wie aber steht es mit den Strukturen in unseren Orchestern jenseits einer gelungenen Konzertwoche mit einem charismatischen Dirigenten? Wie wird Führung verstanden und umgesetzt?
Es beginnt schon mit der Frage, wer im System Orchester/Oper denn eigentlich Führungskraft ist. Allgemeine Einigkeit besteht sicher in der Annahme, dass der Intendant, der GMD, der Dirigent der Aufführung, der Geschäftsführer etc. Führungskräfte sind. Auch der Orchesterdirektor oder der Konzertmeister werden noch als solche gesehen und empfunden. Aber wie steht es mit den anderen Solostreichern, Vorspielern, Solobläsern oder deren Stellvertretern? Werden sie auch als Führungskräfte erlebt und unterstützt?
Die Liste der Führungsaufgaben in musikalischer wie in teamspezifischer Hinsicht in unseren Orchestern ist lang, aber in den wenigsten Orchestern ist exakt geklärt, welche genauen Erwartungen und Erfordernisse sich an eine der oben genannten Positionen ergeben bzw. wie im Konfliktfall damit umgegangen werden soll. Da lohnt sich doch ein Blick über den Tellerrand des eigenen Systems.
Unterstützung von Führungskräften durch Coaching
Der Weg zur vielzitierten lernenden Organisation setzt ein betriebliches Umfeld voraus, das permanentes Lernen sinnvoll in den Unternehmensalltag integriert. Mangement-Coaching, in diesem Zusammenhang verstanden, hat die Funktion das gesamte Unternehmen entwicklungsorientiert zu begleiten. Angesetzt werden muss [
] bei den Führungskräften und Entscheidern des Unternehmens, die als Schlüsselträger von Veränderungsprozessen ihre Fähigkeiten optimieren müssen, am eigenen Leib erfahrene Lern- und Erkenntnisprozesse ihrerseits nach unten weitergeben. (2)
In den Köpfen der Schlüsselpersonen eines Unternehmens muss ein Lern- und Bewusstseinsprozess stattfinden, der sich sowohl mit den Erfordernissen zeitgemäßer Unternehmensführung wie auch mit den gesellschaftlich relevanten Veränderungsprozessen befasst. Ohne die Bereitschaft des Topmanagements, selbst aktiv zu bleiben und sich selbst in Veränderungsprozessen einzubringen, bleiben alle Bemühungen erfolglos, so jedenfalls die Meinung der Autoren aus dem oben zitierten Artikel Evolution in der Führung.
Was bedeutet der Begriff Coaching in diesem Zusammenhang?
Coaching ist ein individuelles, auf die Person konzentriertes Beratungskonzept, mit dem Ziel alle vorhandenen Ressourcen und Potenziale optimal zu entwickeln. Die Konzentration liegt dabei auf dem beruflichen Umfeld. Das Ziel des Coachingprozesses ist es, die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten wie auch die blinden Flecken zu erkennen, selbst-bewusst alle Erkenntnisse zu integrieren und somit gestärkt die Chancen für positive Veränderungen zu nutzen. Diese Form des Coachings ist in der Wirtschaft seit Jahren ein probates und viel genutztes Instrument zur Unterstützung von Führungskräften. In der Tradition unserer Orchester ist es nahezu unbekannt, allenfalls skeptisch beäugt.
Allerdings darf Coaching als Unterstützung für Führungskräfte nicht auf der Ebene individualpsychologischer Betreuung stecken bleiben (obwohl auch dies manchmal schon viel Gutes bewirken könnte). Das gesamtunternehmerische Umfeld muss Teil dieser Form der Beratung sein und so zusätzlich der Optimierung von innerbetrieblichen Konfliktfeldern und der Weiterentwicklung von Unternehmensführung dienen.
Traditionelle Hürden
Nach wie vor sind die bisherigen überwiegend hierarchischen Strukturen in unseren Klangkörpern wenig innovationsfähig. Wenn man die traditionelle Organisationsform eines Opernorchesters betrachtet, also einen Intendanten mit einem GMD an der Spitze sowie den Kapellmeistern und der Orchesterdirektion auf der mittleren Ebene, wird schnell klar, dass für längerfristig angelegte Projekte und Entwicklungen wenig Raum bleibt. Kreative Lernprozesse, die mehr als das Gelingen des nächsten Konzerts zum Ziel haben, also auch die individuellen Persönlichkeiten und deren Weiterentwicklung ins Blickfeld rücken, scheitern häufig an mangelnder Beachtung oder schwerfälligen und intransparenten Organisationsformen. Bürokratische Hürden, ausgeprägtes Abteilungs- und Statusdenken (ich führe, also bin ich
) tun ein Übriges. Dabei könnte ein anderes Selbstverständnis von Führung so viel Positives bewirken.
Ziele setzen
Die Keimzelle einer langfristig angelegten und erfolgreichen Unternehmensführung bildet die Entwicklung einer Vision und die Transformation dieser in ein oder mehrere Ziele (z.B.: Wo steht unser Orchester 2015 und wie wollen wir dahin kommen?). Erst wenn ein Ziel Kraft und Ausstrahlung entwickelt, werden Menschen angetrieben, ihr Bestes zu geben. Diese Ziele müssen offensiv und klar kommuniziert werden. Dabei ist Transparenz wichtig. Transparenz über Ziele, Beiträge und Endergebnisse zu etablieren und zu kultivieren, das ermöglicht den Mitarbeitern, sich als wertvollen Teil des Ganzen zu verstehen. Unternehmen, die diese Erfahrungen umsetzen, bieten ihren Mitarbeitern etwas Zusätzliches: die Übernahme von Verantwortung. Und das eröffnet den Mitarbeitern die Chance sich weiterzuentwickeln. (3) Ein wunderbares Beispiel für diesen Prozess ist die Erarbeitung und Aufführung eines Orchesterkonzerts, das zum großen Erfolg wird. Das Wirkprinzip ist also jedem Orchestermusiker schon längst vertraut.
Die Entwicklung einer Vision und deren Vermittlung im Unternehmen ist zunächst die Aufgabe der Führungsspitze, in unserem System also Intendanz und GMD. Darüber hinaus ist es allerdings ebenso wichtig, die einzelnen Beiträge zusammenzuführen und auf das gemeinsame Ziel hin zu bündeln. In unserem System ist diese Funktion zumindest nicht genau geklärt. Sie fällt künstlerisch in den Bereich des GMD und der Kapellmeister, ansonsten sind Berührungspunkte zwischen Orchesterkollegen und Geschäftsleitung in der Regel organisatorischer oder disziplinarischer Natur.
Führungskräfte als Katalysatoren
Der gute Manager setzt sich in Einzelgesprächen intensiv mit seinen Mitarbeitern auseinander, hört zu, arbeitet mit ihnen. Tausendfach multipliziert entsteht auf diese Weise die Substanz, von der das Unternehmen lebt. (4) Es ist eine wichtige Aufgabe von Führungskräften, Zugang zu ihren Mitarbeitern zu finden, sie zu unterstützen, ihre Talente zu fördern und ihre spezifischen Fähigkeiten mit den Zielen des Unternehmens optimal in Einklang zu bringen. Bei diesem Prozess hat die Führungskraft die Rolle eines Katalysators, d.h. bildlich gesprochen die Funktion, auf dem Weg zum angestrebten Endprodukt die Reaktion zwischen zwei Substanzen zu beschleunigen. [
] Indem Hunderte von Vorgesetzten diese Rolle gut wahrnehmen, gewinnt das Unternehmen Kraft und Stabilität Mitarbeiter für Mitarbeiter. (5)
Ideenbörse zur Steigerung von Qualität
Das Erfassen und Umsetzen von Ideen der Beschäftigten bringt für viele deutsche Unternehmen Verbesserungen, von der Arbeitsorganisation bis hin zu Einsparpotenzialen. Auch diese Idee ist nicht neu, wird in unserer Branche aber nur zögerlich zur Kenntnis genommen. Nach wie vor wird in der Regel unter Führung Instruktion und Kontrolle verstanden. Das größte Hemmnis für eine erfolgreiche Umsetzung der Ideen der Mitarbeiter seien nach wie vor Führungskräfte, die zu wenig Wert auf das Wissen der Mitarbeiter legten. Ideenmanagement sei daher auch ein guter Indikator für Führungsqualität des Managements, erklärte EuPD-Research-Projektmanager (6) Oliver-Timo Henssler. Nur gut geführte Unternehmen mit zufriedenen Mitarbeitern sind auch auf die Dauer innovativ. Knapp 97 Prozent der Konzerne honorierten die Ideen ihrer Mitarbeiter zudem mit Geld, rund 80 Prozent auch mit Sachprämien. In knapp der Hälfte der Unternehmen gebe es zudem interne Wettbewerbe und Auszeichnungen. (7)
Die Wirklichkeit in der Führung vieler deutscher Orchester sieht (noch!) anders aus. Aber es gibt Ansätze für Veränderungen, aufgeschlossene Orchesterdirektoren, innovativ denkende Intendanten und viele Orchesterkollegen, die ihrem Unwohlsein im Arbeitsalltag anders Ausdruck geben wollen als mit Rückzug und Frust. Viele wissen allerdings nicht, wie dies erfolgreich gelingen kann.
Paradigmenwechsel
Wir brauchen neue Ideen, um dem inneren Burn-out zu entgehen. Nicht das Beharren auf Bestehendem, sondern betriebsinterne Lernprozesse mit der Entwicklung neuer Ideen, initiiert oder zumindest legitimiert durch eine lösungsorientiert denkende Führungsspitze, öffnen neue Wege und bedeuten ein Durchbrechen der Innovationsblockaden. Die kreative Gestaltung von Zukunft sollte uns erlauben Fragen zu stellen und neue Antworten zu finden, auch unbequeme.
1 Justus Frantz/Jens U. Sievertsen: Virtuos führen. Die Meisterklasse des Managements, München 2007, S. 18.
2 Marianne Egger-List/Peter Egger: Die Evolution in der Führung, in: ManagerSeminare, Heft 10, Januar 93, S. 54.
3 Frantz/Sievertsen, a.a.O., S. 143.
4 Marcus Buckingham/Curt Hoffmann: Erfolgreiche Führung gegen alle Regeln, Frankfurt am Main 32005, S. 52.
5 ebd.
6 EuPD-Research ist ein unabhängiges Markt- und Meinungsforschungsinstitut für Unternehmen, Organisationen und Medien (http://www.eupd-research.com/de/ unternehmen).
7 www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,519770,00.html vom 26. November 2007 unter Nachrichten/Wirtschaft.