Werke von Reimann, Henze und Rihm

Unanswered Love

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 73602
erschienen in: das Orchester 07-08/2017 , Seite 69

Unerwiderte Liebe – manch einer kann ein Lied davon singen. Und am schönsten wohl die Dichter und Musiker. Das Eintauchen in Seelentiefen und Schmerzesdunkel beeindruckt allemal mehr als ein Preislied auf flüchtiges Glück. Auch die Komponisten dieser faszinierenden Vokalwerke können ein Lied von Liebesentzug und Zurückweisung singen, denn ihre Werke reflektieren nicht bloß fremde Texte und Gedanken, sondern sicherlich auch eigenes Erleben auf ihren selbst gewählten unkonventionellen Schaffenswegen hin zum Erfolg: Reimann, der Magier des modernen Melos. Rihm, der kreative Tausendsassa. Und Henze, der 1957, schönheitstrunken und zeitkritisch, mit Nachtstücke und Arien völlig aus dem seriellen Rahmen fiel und einen Skandal provozierte.
Reimann und Rihm schrieben ihre Werke in den Jahren 2000 und 2001 für die phänomenale Juliane Banse; beide haben das „Resultat auf sie ausgelegt, um ihrer Stimme zu schmeicheln“. Und Henze hatte der Sängerin 2003 in L’Upupa und der Triumph der Sohnesliebe eine große Rolle zugedacht – und „als Ausgleich für die verpasste Uraufführung“ nahm sie nun den zum modernen Klassiker avancierten Liederzyklus zusammen mit den zwei Ersteinspielungen auf. Da kann sie den Extremlagen und Grenzgängen der abgründigen Klagegesänge mit großen gefühlvollen Kantilenen begegnen, die erst recht ihrer Stimme schmeicheln. Auf die setzt Aribert Reimann in seinen Sappho-Gesängen total: Auf- und ausschwingend, schwebend und leuchtend überm dunklen Klanggrund, gewinnen Sapphos Rufe nach Rettung aus Liebesqualen und den Beistand von Göttin Aphrodite im rasenden Gefühlssturm immer mehr an Intensität und Verzweiflung, bis sie am Ende in der Stille der Nacht verstummen. Eindringlich, farbig und Form bildend haben die Instrumente an dieser feinen Liedkunst Anteil.
Wolfgang Rihm nutzt die Klage der Ariadne als Textmaterial für eine dramatische Szene: Wiederholungen, Überblendungen, schnelle Wechsel und die Abkehr von der linearen Form schaffen ein Labyrinth, in dem Ariadne ihre Sehnsucht und Pein ekstatisch hinausschreit, das Hornrufe, Bläsersoli und erregte Tutti vielfältig ausleuchten und beleben und aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
Mit Ingeborg Bachmanns Gedichten Gewitter der Rosen und Freies Geleit besingt Hans Werner Henze eine andere, eine menschheits- und weltumspannende Liebe. Romantische Nachklänge, raffiniertes Kolorit,
vitale Fandango-Rhythmen und der „Hymnus auf eine schöne atomwaffenfreie Zeit“ prägen die Nachtstücke; und die Arien fügen wunderbare gesangliche Glanzpunkte hinzu. Eine schöne Utopie! Doch insgeheim tragen alle diese (Liebes-)Klagen ein Lebenshoffen in sich, und die Komponisten sind Glückssucher. Daran lassen auch die faszinierende Solistin, das fantastische Orchester und der sensibel und souverän dirigierende Christoph Poppen keinen Zweifel. Und dieser hinreißende, Maßstab setzende Auftritt wird garantiert Widerhall finden.
Eberhard Kneipel