Verdi, Giuseppe
Un ballo in maschera
Zu Beginn ihrer ersten gemeinsamen, sehr erfolgreichen Amerikatournee spotteten manche amerikanischen Kritiker offensichtlich in Unkenntnis der historischen Gegebenheiten darüber, dass Riccardo Chailly aus der Musikmetropole Amsterdam in die Leipziger Provinz als Chefdirigent gewechselt sei. Am Ende hatten das traditionsreiche Eliteorchester und sein charismatischer Chefdirigent der neuen Welt bewiesen, welch ein musikalisches Potenzial in dieser Verbindung steckt.
Auf einem erschienenen Mitschnitt von Verdis Un ballo in maschera, der im November 2005 in der Leipziger Oper aufgezeichnet wurde, ist dies facettenreich nachzuvollziehen. Chailly und das hochkonzentrierte Gewandhausorchester Leipzig bieten dabei einen Verdi der Spitzenklasse. Dabei gehört der italienische Dirigent nicht zu den Vertretern seines Fachs, die Verdi auf einen Lieferanten schöner Melodien reduzieren will. Mit gehärtetem Klangbild, zupackender Energie, gespannter Rhythmik und, wenn nötig, orchestraler Wucht sieht er diesen Maskenball als ein Werk des Übergangs. Dabei kann er sich auf das seine Intentionen reaktionsschnell umsetzende Gewandhausorchester in jedem Takt verlassen. Auf ähnlich hohem Niveau wie die Orchesterleistung bewegt sich auch der von Romano Gandolfi und Sören Eckhoff vorbereitete Chor der Oper Leipzig.
Von einer angeblichen Krise des Verdi-Gesangs, wie sie gelegentlich gerne beschworen wird, ist bei dieser Aufführung kaum etwas zu spüren. Auch wenn die ganz großen Namen des Verdi-Gesangs hier nicht vertreten sind, dieser Maskenball hat auch vokal ein hohes Niveau. Massimiliano Pisapias Riccardo profitiert von der Kraft des Tenors ebenso wie der Geschmeidigkeit. Er verbindet tenoralen Glanz mit Beweglichkeit seines Organs und zeichnet zumindest vokal ein überzeugendes Rollenporträt. Chiara Taigi kann mit ihrem aufblühenden Spinto-Sopran trotz gelegentlich etwas geschärfter Höhe als Amelia begeistern. Facettenreich und mit vielen Klangfarben gestaltete sie die Vielschichtigkeit der Figur. Als ihr Mann Renato agiert Franco Vassallo zwar etwas eindimensionaler, sein zuverlässig-kraftvoller Bariton offenbart aber keine Schwächen. Mit profundem Alt lässt Anna Maria Ciuri als Ulrica aufhorchen. Eun Yee Yous Oscar klingt trotz aller Koloratursicherheit ein Spur zu soubrettig. Hermann Wallén (Silvano), Tuomas Pursio (Samuel), Metodie Bujor (Tom) und Seung-Hyun Kim runden das Ensemble auf mehr als solidem Niveau ab.
Während dieser Leipziger Maskenball musikalisch kaum Wünsche offen lässt, ist die Inszenierung Ermanno Olmis eine einzige Enttäuschung. Der italienische Regisseur, der mit Filmen wie Der Holzschuhbaum oder Lang lebe die Signora auf sich aufmerksam machte, hat kein Konzept für Un ballo in maschera. Zwar hat ihm Arnaldo Pomodoro eine an Bauhaussachlichkeit gemahnende Bühne eingerichtet, doch Olmi bietet nur altmodisches Rampentheater. Man fühlt sich an eine konzertante Aufführung in hässlichen Kostümen erinnert, für die ebenfalls Pomodoro verantwortlich zeigt.
Walter Schneckenburger