Wessel, Michael
Üben Proben Karriere
12 Interpreten im Gespräch
Übung macht den Meister! Oder doch nicht? Dieser Frage geht Michael Wessel, selbst ausübender Musiker und Hochschullehrer, in seinem Interviewband nach. Er versucht im Gespräch mit zwölf Sängern und Instrumentalisten herauszufinden, was dran ist am Verhältnis zwischen Inspiration und Transpiration. Und schließlich geht es neben dem individuellen Üben und dem gemeinsamen Proben im Ensemble auch um die Frage, wie man Karriere am besten plant und organisiert oder ob sie sich einem solch strukturierten Zugriff gar entzieht.
Auf die erste Frage die nach der Übezeit geben die Gesprächspartner eine erstaunliche Antwort: Die wenigsten der durchweg sehr bekannten Solisten wie Paul Badura-Skoda, Pierre-Laurant Aimard, Jörg Widmann oder Annette Dasch üben besonders viel, einige sogar extrem wenig. Und der Geiger Christian Tetzlaff absolviert seine tägliche Übestunde sogar auf dem Heimtrainer. Das generell knappe Pensum liegt meist an ausgedehnter Konzert- und damit verbundener Reisetätigkeit, aber auch daran, dass bei wachsender Erfahrung vieles an neu hinzukommenden Stücken theoretisch, also lediglich anhand der Reflexion des Notentextes, gelernt wird. Kaum einer empfindet diese zeitliche Beschränkung beim Üben mit dem Instrument oder der Stimme als Nachteil, oft wird von den Befragten sogar der Vorteil hervorgehoben, durch nur mäßiges Wiederholen die Frische einer Interpretation bewahren zu können selbst wenn ein Solokonzert oder eine Opernpartie zum hundertsten Mal auf dem Programm stehen.
Wie stark es im aktuellen Musikbetrieb auf Routine und die Paarung von technischer Meisterschaft mit künstlerischer Inspiration ankommt, wird dem Leser bei der Darstellung der Abläufe an Konzerttagen bewusst gemacht: Ein, zwei kurze Proben zur Verständigung mit dem Orchester müssen da in den meisten Fällen reichen. Das führt dazu, dass alle der befragten Instrumentalsolisten beim Thema Kammermusik geradezu ins Schwelgen kommen. Dort wird ausführlich, manchmal gar bis zur Erschöpfung geprobt. Zum Thema Karriere hingegen äußern sich die Stars eher vorsichtig-bescheiden; ihre eigene, äußerst erfolgreiche Laufbahn wird da oft auf glückliche Zufälle wie die Begegnung mit Förderern zurückgeführt.
Michael Wessels Interviewband liest sich über gute Strecken zwar leicht und flüssig, die ohne Schlussfolgerungen einfach nebeneinandergestellten Gespräche sind als Ganzes allerdings doch zu unsystematisch, als dass daraus wissenschaftliche Erkenntnisse abgeleitet werden könnten. Zwar gehen die Interviews deutlich über das rein Anekdotische hinaus, der vielfach durchscheinende Plauderton scheint allerdings im einen oder anderen Fall das strukturiertere Nachfragen verhindert zu haben. So bleibt die Erkenntnis, dass zwar fast alle der zu Wort gekommenen Künstler wenig üben das aber wiederum auf jeweils sehr individuelle Weise organisieren.
Daniel Knödler