Ravel, Maurice
Tzigane
Rapsodie de concert pour violon et orchestre/piano, mit einer Einführung von Christine Baur, Urtext, hg. von Douglas Woodfull-Harris
Maurice Ravels Konzertrhapsodie Tzigane gehört zu den populärsten und meistgespielten Virtuosenstücken für Violine. Ravel hatte 1922 die ungarische Geigerin Jelly dArányi, eine Großnichte der Violinlegende Joseph Joachim, kennen gelernt, als sie in Paris zusammen mit Béla Bartók dessen brandneue erste Violinsonate vortrug. Persönlichkeit und Geigenspiel der feurigen Ungarin beeindruckten ihn zutiefst. Den Plan, ihr eine Rhapsodie sozusagen maßgeschneidert auf den Leib zu schreiben, verwirklichte er aber erst zwei Jahre später: 1924 entstand Tzigane. Das Werk setzte sich in Windeseile durch, wiewohl die Rezeption von Beginn an geteilt war und es an kritischen Stimmen nie gefehlt hat, die die Komposition zum Teil rundweg ablehnten. Hier mag manches Missverständnis mitschwingen. Ravels Ziel war es, ein Violinstück für Virtuosen zu schreiben. Und weiter: Es war nicht mein Bestreben, Ungarn heraufzubeschwören, das ich nicht kenne; meine Tzigane ist nicht das für Budapest, was, unter meinen anderen Werken, La Valse für Wien und La Rhapsodie Espagnole für Spanien ist; es ist hauptsächlich ein Stück für die Violine. Und da es passend für Jelly dArányi sein und ihre Art des Violinspiels reflektieren sollte, bot sich die Form einer ungarischen Rhapsodie geradezu an. Ravel näherte sich dem Sujet mit der ihm eigenen respektvoll-ironischen Distanz. Entstanden ist so ein Meisterwerk: raffiniert innovativ, temperamentvoll und klangsinnlich, augenzwinkernd ironisch, poliert, extrem wirkungsvoll, virtuos, dabei aber keineswegs überragend schwer zu spielen. Kein Wunder, dass es derart populär ist.
Die vorliegende Neuausgabe ist höchst willkommen. Christiane Baurs Einführung gibt kompetent und äußerst informativ Einblick in die Entstehungs- und Publikationsgeschichte, befasst sich mit den verschiedenen Fassungen des Werks es existiert in drei Versionen: für Violine entweder mit Luthéal- (präparierter Konzertflügel), Klavier- oder Orchesterbegleitung , mit frühen Aufführungen, Rezeption und Aufführungspraxis. Baurs Bemerkung, Ravel sei mit Tzigane an die Grenzen des technisch Machbaren gegangen darf man getrost ignorieren: kein Geiger heutzutage, der etwas auf sich hält, der es nicht im Repertoire hätte, es gibt eindrucksvolle Aufnahmen im Dutzend. Der Ausgabe für Violine und Klavier sind zwei Geigenstimmen beigegeben, eine uneditierte Version und das Faksimile einer Einrichtung von Adrienne Fachiri, einer Nichte Jelly dArányis, die eine Zeit lang Unterricht bei ihrer Tante hatte und das Werk wohl (angeblich) mit der Widmungsadressatin von der es weder eine Einspielung noch eine eigenhändig eingerichtete Solostimme gibt studiert hat. Wie weit das nun authentisch und dann wiederum repräsentativ für Ravels Auffassung sein mag, sei dahingestellt.
Der von Douglas Woodfull-Harris penibel sorgsam editierte Text der Neuausgabe hält einige wenige Überraschungen parat, so z.B. das cis statt c in Takt 27 der großen Solokadenz. Sehr zu loben, wiewohl leider durchaus nicht Standard aller heutigen Urtextausgaben, ist der sowohl der Orchesterpartitur als auch der Violin-Klavier-Ausgabe angefügte Kritische Kommentar. Da weiß man dann immerhin, woran man ist.
Herwig Zack


