Partch, Harry

Two Studies on Ancient Greek Scales

for Harmonic Canon II and Bass Marimba, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2015
erschienen in: das Orchester 12/2015 , Seite 76

György Ligeti war nicht nur einer der begnadetsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein großer Förderer, der sich nachhaltig für die Musik unbekannter Kollegen engagierte. Sein langjähriger Einsatz für den großen Pionier des selbstspielenden Klaviers, den amerikanischen Komponisten Conlon Nancarrow, ist legendär. Weniger bekannt ist sein Engagement für Harry Partch, den anderen großen Außenseiter der zeitgenössischen Musik.
Partch (1901-1974) hatte bereits in den 1930er Jahren in seinen Kompositionen, für deren Realisierung er ein großes Arsenal an neuartigen Inst­rumenten erfand, mit exotischen Skalen und Aspekten von Mikrotonalität experimentiert. Er baute Zithervarianten, sogenannte Kitharas, umgebaute Marimbafone und Harmoniums – alle gestimmt in einem selbst entwickelten Tonsystem, das die Oktave in 43 Mikrotöne unterteilt.
Bevor in den 1950er und 1960er Jahren seine großen Kompositionen entstanden wie die Ballett-Oper Bewitched oder das Musiktheater The Delusion of the Fury, komponierte er in einer Reihe von kleinen Kammermusikstücken und Liedern die nun als Notenedition erschienenen Two Studies on Ancient Greek Scales. Die zwei rhythmisch pulsierenden und liedhaften Duos mit einer Gesamtlänge von nur drei Minuten sind für das Harmonic Canon II, eine Zither mit zwei Resonanzkörpern und 44 mittels verschiebbarer Stege stimmbarer Saiten, geschrieben sowie eine Bassmarimba mit elf Klangstäben. Eine Aufnahme ist auf YouTube zu finden. Die dem Werk zugrundeliegenden Skalen adaptierte Partch aus der Musik der griechischen Antike, wobei vor allem die Study II durch die Verwendung eines Tetrachords mit zwei Vierteltonschritten abwärts (Archytas von Tarents Enharmonik) mit ihrer gestauchten Wirkung sehr beeindruckend ist.
György Ligeti hatte in den 1970er und 1980er Jahren mit großer Resonanz im Kreis seiner Studierenden für den Erstkontakt mit der Musik von Harry Partch gesorgt, im zweiten Schritt erschienen in den 1990er Jahren Schallplatten und CDs mit seiner Musik. Dritter Meilenstein der Entdeckung von Partch war im Jahr 2014 eine Inszenierung von Delusion of the Fury im Rahmen der Ruhrtriennale, die sich dem Kraftakt des Baus einer kompletten Kopie des Partch-Instrumentariums unterzog und erstmals die energisch vorantreibende, exotische Kraft der Musik von Harry Partch einem größeren europäischen Publikum bekannt machte.
Mit der bereits auf ca. 50 Werke angewachsenen „Harry Partch Edition“ des Schott-Verlags besteht nun eine äußerst preiswerte Möglichkeit zum intensiven Kennenlernen dieses neuen Musikkontinents. Und wer weiß: Vielleicht greift ja der eine oder andere handwerklich versierte Musikliebhaber zu Hammer und Säge und baut sich die Instrumente nach.
Stephan Froleyks