Wieczorek, Rainer
Tuba-Novelle
Für “Der Intendant kommt” (2005) wurde Rainer Wieczorek, geboren 1956 in Darmstadt, 2008 mit dem Gerhard-Beier-Preis ausgezeichnet. 2009 folgte Zweite Stimme, und mit der Tuba-Novelle legt der Autor nun den dritten Band seiner Künstlernovellen vor mit einem bemerkenswerten Titel insofern, als ein Tubist als Subjekt, als erkennbare Persönlichkeit in der Novelle nicht erscheint. Der Tubaspieler bzw. die Klänge seines Instruments erscheinen vielmehr als Chiffre für äußere Einflüsse auf die Arbeit des Geistesschaffenden. Der schöpferische Prozess kann so vielfältig sein wie die Menschen, die es auf sich nehmen, Neues, Eigenes zu schaffen.
Am Beispiel Samuel Becketts, dessen Schreibhemmungen legendär sind, formt Wieczorek spiegelbildlich die Person eines Essayisten, der sich in Ussy-sur-Marne, dem Ort, in dem Beckett sich gerne schreibend aufhielt, für einige Monate niederlässt, um über ihn zu schreiben. Der Geist des Orts soll ihm Beflügelung und Vertiefung sein. Parallelen zum Objekt seines Schreibens entstehen insofern, als Beckett selbst sich gestört fühlte vom Bau einer Jagdhütte in seiner Umgebung; den Essayisten befallen Schreibblockaden, als er im nachbarlichen Spanischen Haus einen Tubisten üben hört. Hier korrelieren die optische Störung bei Beckett und die akustische des Essayisten in ihrem Einfluss auf die Entstehung eines schriftstellerischen Werks.
Aus dieser Ausgangslage entfalten sich reichhaltige gedankliche Beziehungen über den Prozess des Schöpferischen, über die Musik, über des Essayisten Verhältnis zum Cello spielenden Vater, im weitesten Sinne über alle Einflüsse, die das Schöpferische beeinflussen, blockieren können.
Spannend, faszinierend zu lesen, wie Rainer Wieczorek Verknüpfungen herstellt aus der Jetzt-Zeit zur Vergangenheit, jener Becketts und jener des Essayisten, im Nachdenken über Kunst, über Glück, über Schweigen, über Musiker. Kluge Gedanken.
Getrübt wird das Lesevergnügen nur durch den Blick auf den Einband: Die Tuba-Novelle ziert ein Trompetenmundstück. Unverzeihlich.
Peter Hoefs