Grube, Thomas
Trip to Asia
Die Suche nach dem Einklang
In Taipeh treten eine Handvoll Europäer aus dem Chiang Kai Shek Cultural Center und werden von einer riesigen Menge umjubelt; die Europäer sind weder Rock- noch Filmstars, sondern Musiker der Berliner Philharmoniker, unter ihnen Sir Simon Rattle. Diese Szene spielte sich nach einem Konzert des Vorzeige-Orchesters im Jahr 2005 ab und dokumentiert nicht nur den rapide gestiegenen Stellenwert europäischer Musikkultur in Asien, sondern bildet auch einen beeindruckenden Höhepunkt in Thomas Grubes Trip to Asia, einer für die Kinoleinwand produzierten Dokumentation einer Asien-Tournee des Ensembles.
Steuerten die Philharmoniker noch vor fünf Jahren mit Strawinskys Le sacre du printemps die Begleitung zu Grubes fulminantem Rhythm is it! bei, stehen sie nunmehr selbst im Mittelpunkt. Mittelpunkt bedeutet hundert Minuten Proben- und Konzertausschnitte, Freizeitgestaltung und vor allem Interviews. Grube holte dafür überaus charismatische Musiker vor die Kamera, welche Höhen und Tiefen eines Berufsmusikers in der Berliner Elite-Formation und vor allem den Weg dahin teilweise sehr persönlich ausloten. Interessant, obwohl dramaturgisch nicht durchweg tragfähig, sind besonders die jungen Musiker im Probejahr, in dessen Verlauf sie sich künstlerisch und menschlich im Ensemble behaupten müssen.
Damit ist der Ansatz des Films schon umrissen: Wie halten es gestandene Solisten und Individualisten in einer Gemeinschaft aus, die künstlerisch und beruflich nur durch engstes Mit- und Füreinander wirken kann, wie entsteht unter diesen Umständen ein Einklang? Nur durch die Interviews wird das äußerlich faszinierende Spannungsfeld zwischen Dienst und Kunst lebendig dokumentiert. Selbst Rattle gewährt sehr persönliche und überraschende Einblicke darin, wie er einen Einklang findet und erlebt. Dabei wirkt er vor dem Orchester beseelt und humorvoll, im Interview dagegen nachdenklich und beinahe unsicher.
Die Kulisse für diese intimen Einblicke bilden Momentaufnahmen der Reise, teils im Videoclip-Stil, teils als beruhigte, aber stereotype Bilder über asiatische Kulturen (Tempel und Fische). Einen tieferen Bezug zum Thema stellen sie aber schon wegen der überreizten Optik nicht her, der Trip bleibt Hintergrund für die meist im Hotel entstandenen Interviews. Die schönen Ausschnitte aus Probe und Konzert wirken dagegen herrlich authentisch, zeigen sie doch den Weg vom knarzenden Scheiß-Stuhl in der Probe bis zu Richard Strauss Heldenleben-Verklärung am Konzertabend.
Überhaupt hätte der Film musikalisch nicht gekonnter untermalt werden können als durch Strauss Tondichtung, die ja den genialen, aber angefeindeten Künstler thematisiert, der wiederum seine Widersacher in Grund und Boden komponiert. Dass die Berliner Philharmoniker unterm Strich keine Magier, sondern Menschen aus Fleisch und Blut sind, die nur durch harte Arbeit ihren Platz erlangt haben, ist eine Quintessenz mit Ansage und filmisch leider nicht gelungen umgesetzt. Die Suche nach dem Einklang geht in zu viele mehr oder weniger konsistente Richtungen, sodass dem Film unterm Strich das dramaturgische Ziel fehlt.
Tobias Gebauer