Blumer, Theodor / Max Reger
Trio op. 55 / Trio op. 77b
Arnold Schönberg nannte Max Reger immerhin ein Genie. In seiner Zeit, als er zu den meistgespielten Komponisten zählte, wurde Reger allerdings von großen Teilen der Hörerschaft abgelehnt: zu kompliziert, zu schwierig, zu modernistisch. Und was macht ein Tonschöpfer in einem solchen Fall: Er bemüht sich um Verständlichkeit. Zwar forderte Reger einen Mozart für heute, doch so weit ging er natürlich nicht zurück in seinem Schaffen. Dennoch: Das Trio op. 77b macht die Besonnenheit eines Komponisten deutlich, etwas Konventionelleres oder gar Bequemes zu schreiben. Dieses Streichtrio, 1904 uraufgeführt, war auf Anhieb ein Erfolg. Vielleicht, weil er Beethovens Tradition hier besonders im Kopf hat; vielleicht, weil er insgesamt ziemlich brav, aber durchaus schwelgerisch mit dem Material umgeht; vielleicht, weil er in Melodie, Motivik, Verarbeitung und Satzfolge die Bedürfnisse eines Streichtrios im Hinblick auf ein klassisch geprägtes Auditorium ideal erfüllt. Alles zusammen: Dieses op. 77b dringt zwar ebenfalls (wie in vielen anderen meisterlichen Werken) bis an die Grenzen einer harmonischen Ordnung vor, doch wirkt es eben nicht provozierend oder gar revolutionär. Es klingt schön, reif, fordernd, animierend.
Das ist der Einstieg für das Neue Wuppertaler Streichtrio mit Jakob Schatz (Violine), Michael Gehlmann (Viola) und Denis Krotov (Cello). Sie sind Mitglieder der Dortmunder Philharmoniker bzw. des Sinfonieorchesters Wuppertal. 2004 traten sie erstmals öffentlich auf. Zum Verständnis des Teams zählt, dass man das Unbekannte neben Bekanntes in den Konzertprogrammen und Aufnahmen stellt so wie in diesem CD-Fall. Denn neben Regers üppiger Klangpracht interpretiert das Trio noch die Rarität von Theodor Blumer (1881-1964), der im spätromantischen Geist mehr als nur Gebrauchsmusik schrieb. Dieses beachtliche op. 55 steht Brahms ebenso nahe wie im weitesten Sinne auch Robert Schumann. Blumer wollte nicht diese Form als Experimentierterrain benutzen, sondern er mischt gekonnt barocke Elemente mit klassischen er bleibt somit in der Spur des 19. Jahrhunderts, immerhin mit Ausblick auf die Impressionisten, deren elegante Farbskala er als Klangvaleurs gekonnt auslotet. Andererseits: Richard Strauss kompositorischen Vorstellungen ist er ebenfalls nicht weit enteilt. Blumer war in den 1920er Jahren Musikchef und Kapellmeister am Dresdener Rundfunk (Mirag). Er verfügt über Erfahrung, über spezifische Klangfacetten und über kontrapunktische Souveränität. Er schrieb viel für Funkhaus-Konzertprogramme.
Zusammen ergeben die beiden Werke, transparent und mit motorischer Verve einstudiert vom Wuppertaler Streichtrio, einen hervorragenden Einblick in diese kammermusikalisch delikate Form einer Umbruchzeit. Reger und Blumer ergänzen sich in dieser Zusammenstellung als jeweiliger Meister auf dem Höhepunkt ihrer Epoche, wobei Reger sicherlich weiter in seinem inneren Antrieb und seinen musikalischen Möglichkeiten als Neuerer geht. Aber diese Zusammenstellung auf einer CD ist eine Hörempfehlung für die, die das Besondere und Seltene sich herauspicken, aber auch für die, die glutvolle Abschiedsfarben der großen deutschen Musiktradition wünschen.
Jörg Loskill